12/10/20

Kneipen oder die getränktegeprägte Gastronomie

Die Kneipe ist eine Gaststätte, die hauptsächlich dem Konsum von Bier, aber auch anderen alkoholischen und nicht-alkoholischen Getränken dient. Formalere, aber seltener verwendete Begriffe für „Kneipe“ sind „Lokal“, „Schänke“ (oder „Schenke“), „Taverne“, Spund/Spunten oder auch „Schankwirtschaft“ als Gegensatz zu „Speisewirtschaft“ (Restaurant). Da in Kneipen häufig auch kleine Speisen bzw. Imbisse angeboten werden, ist die Grenze zum Restaurant fließend.

Die Sumerer dürften es auch gewesen sein, die als Erstes richtige Wirtshäuser besuchen konnten, um zu trinken, schreibt Imgrund. Schriftliche Überlieferungen zeigen, dass im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, dem Gebiet des heutigen Iraks, schon vor 4000 Jahren in Bierschenken verschiedenste Bierspezialitäten angeboten wurden

Die Bezeichnung „Kneipe“ ist bereits 1781 bei Christian Wilhelm Kindleben für „eine Bierschenke“ belegt. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Wort in der studentischen Kneipe als Eindeutschung des früher gebrauchten Kommerses in der Studentensprache verwendet. Die Bezeichnung ist eine Verkürzung des Begriffs Kneipschenke, die bereits im 18. Jahrhundert existierte. Dabei handelte es sich um Räumlichkeiten, die so eng waren, dass die Gäste zusammengedrückt sitzen mussten. Das im Mitteldeutschen belegte Verb kneipen für „zusammendrücken“ ist ein Lehnwort aus dem mittelniederdeutschen Wort knipen. In Österreich gibt es die Bezeichnung Beisl, in der deutschsprachigen Schweiz Beiz (eher neutral), Spunten oder Knelle (abwertend), in Altbayern Boazn und teilweise in Baden-Württemberg Boitz. Diese Bezeichnungen leiten sich aus dem Jiddischen bajis für Haus (hebr. beijt) her. In der Oberlausitz wird das aus dem Sorbischen stammende Wort Kretscham verwendet. Im Ruhrgebiet ist Pinte geläufig. Abwertend sind die Ausdrücke Bumslokal, Spelunke und Kaschemme für eine heruntergekommene Kneipe.
Typisch für Kneipen ist der Ausschank von Fassbier am Tresen, an welchem Gäste häufig sitzen können. Im Gastraum befinden sich dann weitere Tische und Stühle. Teilweise gehören zur Einrichtung einer Kneipe auch Spielgeräte wie Billardtische, Kicker, Dartscheiben, Flipper oder Spielautomaten. Viele Kneipen haben auch Fernsehgeräte, in denen beispielsweise Fußballspiele öffentlich gezeigt werden. In einigen Kneipen hängt ein Sparschrank, in den Mitglieder lokaler Sparklubs regelmäßig Bargeld stecken.
Ein Aspekt der Kneipen ist der soziale Austausch und die "flüchtigen Kontakte" ("strength of weak ties") (Mark Granovetter), sie sind bedeutend für soziale Kommunikation und den Zusammenhalt in Gemeinden.  Informationsaustausch und informelle Diskussion, "lass uns auf ein Bier treffen" und "das sollten wir bei einem Bier besprechen (Justus Haucap + Südd Ztg 10.09.2020)
In den Kneipen domieren männliche Gäste, wobei ein breites Spektrum von sozialen Schichten und Subkulturen (Szenekneipen) anzutreffen sind (U.Geyr). Kneipen dienen häufig auch als Treffpunkte anderer Vereine, die dort einen regelmäßigen Stammtisch abhalten, manchmal finden sich daher in den Kneipen auch Objekte, die diesen Vereinen gehören bzw. auf ihre Tätigkeiten verweisen wie etwa Vereinsfahnen oder Pokale. Zu manchen Kneipen gehört auch ein von der eigentlichen Gaststube getrennter, separater Raum oder Saal der für Vereinstreffen oder Familienfeiern vermietet wird.

Der Betreiber einer Kneipe ist der Wirt oder auch Kneipier oder Kneiper genannt, oft sind noch Kellner angestellt. Die Öffnungszeiten von Kneipen werden durch die lokal gültige Sperrstunde geregelt.

Seit Jahren ist eine Tendenz zu erkennen, dass die Anzahl der Kneipen und ursprünglichen Gaststätten kontinuierlich zurückgeht. Bundesweit ging die Zahl der Schankwirtschaften in den Jahren von 2009 bis 2015 von knapp 36.700 auf rund 31.100 zurück. Spitzenreiter des Kneipensterbens ist Hamburg, wo die Zahl der Gaststätten zwischen 2001 und 2010 um 48,1 Prozent gesunken ist, gefolgt von Niedersachsen mit einem Verlust von 41,2 Prozent. Das hat mehrere Gründe: Die Menschen trinken weniger Bier, arme Leute verdienen weniger Geld und junge Menschen verleben ihre Freizeit anders. Ein Zusammenhang zwischen dem Kneipensterben und dem Nichtraucherschutz ist nicht erkennbar.

Informationen:

- wikipedia -
- Wiktionary: Kneipe - Wiktionary: Beiz -

Vergorener Getreidesaft der Sumerer war möglicherweise kein Bier. 4000 Jahre alte Keilschriften aus Mesopotamien verraten wenig über die damalige Brautechnologie. link bei www.mpg.de  12.01.2012

Plett, C.: Saufen in der Stadt: Eine Stadt trinkt - Getrunken wird auf der Straße, in Eckkneipen, an langen dunklen Tresen. TAZ 21.05.2022
Waibel, A.: Forscherin über Marburger Subkultur - :„Eine linke Kneipe fehlt“ - Susanna Kolbe hat die Studentenkneipen von Marburg durchforstet. TAZ  29.02.2024 ⇒ Susanna Kolbe: „Geschichten aus dem Marburger Nachtleben“. Wartberg Verlag, 80 Seiten, Okt 2023 (Marburger Kneipengeschichte)

Dierek Skorupinski,Sabine Goes: Zwischen Umsturzgedanken und gediegenem Rausch, Kleine Geschichte der Kneipe, Berliner Stadtzeitung Scheinschlag, Ausgabe 2, 2005
Bernd Imgrund. Kein Bier vor vier. Meine 100-tägige Kneipentour durch die Republik. KiWi-TB 2014 - und Imgrund, B.: Eine kleine Geschichte der Kneipe. Riva-Verlag 2000
Herrengedeck und Herzenswärme: Thomas Wübker liest aus seinem „Kneipenbuch“ im Grand Hotel am Schlosswall. Neue Osnabrücker Zeitung 09.07.2016 -  Jede Kneipe hat ihre Geschichten. Die ihrer Gäste, ihrer Wirte und sogar ihrer Getränkekarten. Thomas Wübker hat sie in Osnabrück und Umgebung gesammelt und aufgeschrieben und veröffentlichte  in seinem Buch „Herrengedeck und Herzenswärme." (Verlag NOZ).
„Home drinking is killing the Gastwirt.“ TAZ 08.10.2016

Granovetter, Mark: The Strength of Weak Ties. American Journal of Sociology 78 (May): 1360-1380 (1973)
- Ueli Gyr: Kneipen als städtische Soziotope. Öster. Z. Volkskunde 94 S.97-116+   Sammelband  1991 geläufige Vorurteile über Kneipenbesucher: „insbesondere Angehörige von sozialen Unterschichten oder Subkulturen an, darunter Alkoholiker, Heimatlose, unverheiratete Erwachsene, Vereinsamte, Randseiter und Gestörte.“
Florian Groth:  Beobachtungen zur Kneipenkultur - link  bei www.praxisundkultur.uni-kiel.de -
- Franz Dröge, Thomas Krämer-Badoni: Die Kneipe. Zur Soziologie einer Kulturform oder „Zwei Halbe auf mich!“ Suhrkamp Frankfurt 1987, ISBN 3-518-11380-1.
Jörg Rössel, Michael Hölscher: Soziale Milieus in Gaststätten: Eine Beobachtung. Sociologus 54: 173–203 (2004)
- Gudrun Schwibbe (Hrsg.): Kneipenkultur. Untersuchungen rund um die Theke. Waxmann Verlag Münster 1998.
- Georg Wedemeyer: Kneipe & politische Kultur. Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1990, ISBN 3-89085-420-6. (Dissertation (link) - ref  Blick über den Rand des eigenen Bierkrugs. Die Welt 16.09.2005)
Starziger, Anneli: Kommunikationsraum Szenekneipe. Annäherung an ein Produkt der Erlebnisgesellschaft. DUV, Wiesbaden, 2000 (Springer - link)

Zu Hause bin ich nicht zu Haus“ - Asyl bei Bier und Café Crème. Aus der Reihe: Von Gästen und Wirten (2) - SWR2 Wissen 23.06.2005

Kneipe - Brankovic, M.: Nächste Runde! Die Kneipe ist ein Kulturgut und darf nicht sterben. Frankf Allg Sonntagszeitung 22.11.2020 + link bei www.gschirrl.at  26.11.2020
Kneipensterben:Das Feierabendbier ist gut für die Wirtschaft.- Südd Ztg 10.09.2020
Kneipensterben. Zahl der Gaststätten um 48 Prozent gesunken“, Die Welt 09.04.2012
- BW – 2008 – 5238 // 2012 – 4224
(Gastgewerbestatistik - link bei www.statistik-bw.de )
- Kneipensterben in Niedersachsen.  Hamburger Abendblatt 13.02.2015
- „Home drinking is killing the Gastwirt.“ TAZ 08.10.2016
- Dorfleben: Das klassische Wirtshaus stirbt aus.  FAZ 18.09.2017)
Anzahl der umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen des Gastgewerbes, gegliedert nach Betriebsarten. link bei www.dehoga-bundesverband.de -
- Gastgewerbestatistik (wikipedia)
- Statistisches Jahrbuch - link -  Kapitel 26: Gastgewerbe und Tourismus (download)

 

 

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