Ernährungssoziologische Betrachtungen der Gruppe der Erwachsene (Schwerpunkt - Haushalte)

Die Gruppe der Erwachsenen stellen den „aktiven“ Teil der Gesellschaft dar. Sie umspannt chronologisch die lange Lebensspanne von über 18 bis unter 65 Jahre. Da sich die beiden unterstützungsbedürftigen „Ränder“ der Gesellschaft, die Heranwachsenden und die des Altenteils,  tendenziell ausdehnen, wird die Belastung der Erwachsenen als Träger der Gesellschaftsaufgaben größer. Hinsichtlich des Nahrungsbedarfs (biologischer Aspekt) ändert sich in dieser Phase relativ wenig, so gelten die selben Empfehlungen (D-A-CH) für die ganze Zeitspanne (abgesehen von Frauen nach der Menopause). Soziologisch sind die Erwachsenen sehr heterogen, und können unter den verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet werden. Hier finden sich z.B. alle Gruppen, die für die Ernährung in Familie und Gesellschaft zuständig sind. Weitere Differenzierungen ergeben , nach Haushaltstyp, nach ökonomischer Lage, nach Lebenslagen, - konzepten, -stiltypus, und nach regionalen Gesichtspunkten.

Die Familie (biologisch) und der private Haushalt sind die kleinsten sozialen Einheiten (Mikroebene). Hier werden alle Aufgaben hinsichtlich der Daseinsfürsorge bewerkstelligt. Die Organisation, die Aufteilung zwischen den einzelnen Mitgliedern (Eltern - Kinder - Generationen) hat sich im Laufe der Geschichte starkt verändert. Die heutige sehr differenzierte Aufgliederung zwischen Erwerbs-, Familien- und Sozialarbeit (Multitasking) (Work-Life-Balance) wurde bereits beim Genderaspekt angesprochen.

Die Haushaltsführung war schon immer eine anspruchsvolle Managementaufgabe (systemorientiert, multitasking, hohe Anforderung an Flexibiltität). So ist die Organisation des gedeckten Tisches eine "gestalt"-erische Aufgabe,  Dagegen ist die ökonomisch orientierte Erwersarbeit eindimensional  und konzentriert sich auf eine Funktion (Taylorismus) und ist standardisert (Fordismus) und monoton. Sie lässt dem Arbeitnehmer wenig Spielraum; es fehlt der "jazz".

Der Haushalt ist ein umweltoffenes, sozioökonomisches System, hier werden Ressourcen, Güter und Geld ausgetauscht.  Die Kompetenzen (Fähigkeiten, das Können) der Haushaltsmitglieder (human capital) und die vorhandenen ökonomische Mittel werden zur Erfüllung der Bedürfnisse eingesetzt. Der Haushalt transformiert nicht nur ökonomische Mittel, sondern auch reale Stoffe, so steht er auch mit dem Ökosystem in Austauschbeziehungen 
(neu: Projekt  "SusLabNWE" des Wuppertal-Institutes (link) zum Ressourcenverbrauch von Haushalten (InnovationCityRuhr - link) - (TAZ - 21.11.2014)

Die privaten Haushalte organisieren die Versorgung aller Staatsbürger, dazu setzen sie (in Deutschland) 48 Milliarden Stunden Erwerbsarbeit ein, und 77 Milliarden Hausarbeit (Zeit-Budget-Studie)

Die Haushaltsstruktur (Statistik Deutschland / Österreich) (Österreich 2007) zeigt ganz unterschiedliche Merkmale, wie Personenzahl; globalen Berufsgruppen;  Erwerbstätigkeit,  Lebenszyklusphase, Generationenumfang, Verwandschaftsnetzwerk: Herkunftshaushalt  Geschwister-Haushalt, u.a.
Historisch gesehen waren am Beginn die Selbstversorge-Haushalte. Die vielfältigen Ernährungsversorgungsleistungen werden heute durch eine haushaltstypische Verknüpfung von Eigenarbeit (unbezahlt) sowie Inanspruchnahme von Dienstleistungen bewältigt (Vergabe-Haushalt; outsourcing; konvenient). Die moderne Hausarbeit scheint recht bequem zu sein. Die zeitliche Verteilung (zwischen den Bedürfnisfeldern) hat sich  eigentlich nicht grundsätzlich gerändert.  So ist heute z.B.  die Textilpflege (Waschen) körperlich einfacher (da Maschinen eingesetz werden), doch die Standards haben sich geändert (es wird häufiger gewaschen)  und die  Zeit für die Maschinenpflege (im Gerätepark des Haushalts) (Kücheneinrichtung) (Küchen-Geräte) kommt hinzu.

Die Haushalte werden immer kleiner, es leben immer mehr Menschen alleine (Singles). Dabei ist zu beachten, dass Alleinlebende ganz unterschiedliche psycho-sozioönomische Hintergünde haben, d.h. selbst diese Gruppierung ist heterogen, so ist z.B. ein Yuppie keine Witwe. Mehrgenerationen-Haushalte sind heute selten; und damit schwindet ein Übertragungsweg der Alltagserfahrung (sozialen Gedächtnis) auf die neue Generation.

Neue Haushaltsformen haben sich gebildet und sind heute gesellschaftlich anerkannt: nicht eheliche Lebensgemeinschaften; Alleinerziehende und Wohngemeinschaften unterschiedlicher Art. Der Grad der Technisierung des Haushaltes kann ebenso als Unterscheidungsmerkmal herangezogen werden. Mit der Veränderungen der Gesellschaft ändern sich  die Haushaltsformen. Die Lebensläufe und Lebenswege werden flexibler und verzweigter, es wird mehr Patchwork-Biographien mit unterschiedlicher Work-Life-(Im)Balanz geben (s. auch multitasking)

Diese differenzierten Haushalte sind die unmittelbaren Bestimmungsgrößen für die Nachfrage nach Lebensmitteln. So werden bei kleineren Haushaltsgrößen kleinere Verpackungsmengen ebenso vermehrt gekauft werden, wie mehr Konvenience-Produkte bzw. haushaltsnahe Dienstleistungen (wie z.B. Essen auf Rädern, Pizza-Service).

Haushaltszusammensetzung wird bei jeder Ernährungserhebung als eine wichtige erklärende Variable erfasst, doch sie werden nur selten ausgewertet. Bedenkt man, wie wichtig die Aktivitäten privater Haushalte nicht nur für die individuelle Ernährungsversorgung sind, sondern als Summe auch für die Volkswirtschaft, dann ist es erstaunlich, wie wenig haushaltsrelevante Auswertungen es in Deutschland gibt. Mit dem umfangreichen Datenmaterial der zweiten Nationalen Verzehrsstudie gibt es gute Chancen diese Lücke zu schließen.

Bei den bisher üblichen Auswertungen wird ein statistischer Durchschnittswert zum  Nahrungsverzehr ermittelt, der nur den Rahmen für die Situation in einem Lande angibt, nicht jedoch als Basis für Ernährungsprogramme reicht. Bei der ökonomischen Auswertung der Verbrauchsausgaben in einem Haushalt (z.B. EVS - Einkommen-Verbrauchs-Stichprobe) werden bei Ernährung meist nur die reinen Lebensmittelausgaben beziffert; z.B. das Deutsche nur ca 13% von ihren Ausgaben dafür verwenden. Zur Bereitstellung des Essens gehört ebenso ein Teil der Wohnungsausgaben (Küche, Essplatz), die Ausstattung mit entsprechenden Geräten, Informationsbeschaffungen (Kochbücher) und "Ambiente"Material (z.B. Tischschmuck).

Das Zusammenleben im Haushalt hat noch weitere Implikationen, die banal klingen, aber für das individuelle und gesellschaftliche "Wohlbefinden" wichtig sind. Es ist die gegenseitige Hilfe; es ist ökonomischer (Zeit, Geld) für mehrere Personen zu sorgen.  Allein leben ist teurer und "ungesünder" (GBE - Heft 14).  (Hesse, Kiel)

Haushaltsführung ist Systemmanagement (eines kleinen "Betriebes") und Multitasking (Bild); modernes vernetzes Zeitmanagement (PERT) gehört zur "Natur" des privaten Haushaltes. Diese Fähigkeiten werden in der modernen Industriewelt neu entdeckt. Haushalt ist "out", doch wird über "Life Facilty Management" wieder "in".

Die Hinweise auf die differenzierten Lebenssituationen bei Erwachsenen zeigen deutlich, dass die Beziehungen zwischen Ernährung und Gesundheit nicht gleichmässig in der Bevölkerung verteilt sind. Diese Ausdifferenzierung geht im Lebenstrom immer weiter; und ist in der nächsten biographischen Gruppe, den Senioren noch größer. Der Übergang ist fliessend, sind doch 50-60 Jährige näher am Seniorenalter, als 20-30 jährige, die beide zur Erwachsenengruppe gezählt werden.  Die gegenwätig übliche Einteilung bei der Ernährungsberichterstattung bedarf dringend einer Ergänzung.

(weitere Informationen zum Haushalt - in der Dimension - Umwelt (Mikroebene) / Informationen zu Erwachsenen - in der Dimension - Menschen - )

Hinweise zu PERT (Program Evaluation and Review Technique) - http://de.wikipedia.org/wiki/PERT

Netzplantechnik - http://de.wikipedia.org/wiki/Netzplantechnik

Methode des kritischen Pfades (englisch critical path method, CPM) - http://de.wikipedia.org/wiki/Methode_des_kritischen_Pfades