Soziale Organisation der Ernährungsversorgung - Lebensmittelproduzenten

Die Nahrungsgrundstoffe, die die Landwirte produzieren, werden zu Lebensmitteln verarbeitet. Das ist ein weiteres Kettenglied im Ernährungssystem einer Gesellschaft. Die Strukturen, Funktionen und Entwicklingen der Ernährungswirtschaft haben sich ebenfalls aus den früheren landwirtschaftlichen Haushalten (Urgesellschaften) entwickelt (Ernährungsgeschichte). Alle Grundprozeduren der Lebensmittelverarbeitung (OLT209) unterlagen der bereits geschilderten allgemeinen Entwicklung der Gesellschaft;. So gibt es Spezialsierung (Taylorismus), Standardadisierung (Fordismus) und Konzentrierung (weg vom Handwerk hin zum Produktionsautomaten). Die Entwicklung von der kleinräumigen Nahrungswirtschaft mit kurzen Nahrungsketten, hin zu globaler Ernährungswirtschaft (vom nationaler Lebensmittelindustrie hin zum globalen Agribusiness-Komplexen)(Glossar). Heute gibt es wahrhaft kontinentalen Lebensmittel-„Verschiebungen“ (Globalisierung); selbst das Endglied der Nahrungskette - der Abfall - geht um die Welt. Dieses Kapitel der Ernährungssoziologie überlappt sich starkt mit dem Bereich der Wirtschaftssoziologie.

Die moderne (industrialisierte) Ernährungswirtschaft ist einer der größten, bedeutendsten Wirtschaftszweige, das wird von Vielen nicht erkannt. Der europäische Lobby-Verband der Lebensmittelindustrie CIAA beziffert den Exportumfang (2005) der europäischen Ernährungswirtschaft mit ca 468 Mrd EURO (Bericht); 2011 werden 954 Mrd € vom Verband genannt (link), der jetzt www.fooddrinkeurope.eu heißt.   (Deutschland).

Entsprechend der Vielfalt der genutzten Lebensmittel gibt es eine ganze Pallette von verschiedenen Zweigen des Lebensmittelverarbeitenden Gewerbes. In jeder Branche zeigt sich ein ähnlicher Trend; vom kleinen Handwerksbetrieb führt der Weg über die Small-Scale-Entersprises bis hin zu den Lebensmittelmultis. In jedem Bereich gibt es eine eigene Lebensmitteltechnologie (historische Entwicklungen; Forschung und Technologie). Die Hauptwertschöpfung zeigt dabei eine deutliche Konzentration auf Grundmaterialien. Das sind Weizen / Rinder – Fleisch, Milch, Butter / Kartoffeln / Zucker / Ölsaaten (Situation in 1986 OLT 94, S.78; Kasten 23). Nur in Bereichen in denen die Frische und Markt- bzw Verbrauchernähe wichtige Faktoren sind, wie Obst und Gemüse, ist die Konzentration noch nicht so weit fortgeschritten.

Die deutsche Lebensmittelindustrie hat knapp 6000 Firmen, über 500.000 Beschäftigte und knapp 150 Mrd. EURO Umsatz.  Die großen Lebensmittelhersteller Deutschlands sind internationale Konzerne, und die Konzentration nimmt weiter zu (Ranking). Die Umsatz-stärksten Branchen der Lebensmittelindustrie sind  Fleisch, Milch, Getränke und Süßwaren; in allen steigt die Konzentration. Die Aufgliederung der Lebensmittelindustrie deutet den Umfang an und die Möglichkeiten von weiteren detaillierten Entwicklungstrends.

• Deutscher Verband der Aromenindustrie e.V. (DVAI)
• Deutscher Brauer-Bund e.V.
• Verband der Essig- und der Senfindustrie e.V.
• Bundesverband der deutschen Feinkostindustrie e. V.
• Bundesverband der deutschen Fischindustrie und des Fischgroßhandels e. V.
• Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie e.V.
• Bundesverband der Geflügelschlachtereien e.V.
• Getreidenährmittelverband - Bundesverband der Hersteller v. Nährmitteln aus Getreide u. Reis e.V.
• VKS - Verband der Kali- und Salzindustrie e. V.
• Verband der Deutschen Margarineindustrie e. V.
• Milchindustrie-Verband e. V. - MIV
• Verband Deutscher Mineralbrunnen e.V.
• Verband Deutscher Mühlen e. V.
• Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie e.V.
• Verband Deutscher Oelmühlen e. V.
• BSI - Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure e.V.
• Fachverband der Stärke-Industrie e. V.
• Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e. V.
• Verband der Suppenindustrie e. V.
• Verband der Deutschen Teigwarenhersteller und Hartweizenmühlen Deutschlands e. V.
• Verein der Zuckerindustrie e. V.
(Weitere Informationen bei BLL; Mitgliederübersichten). 

In jedem Bereich gibt es spezifische nahrungsgewerbliche Berufe. Die Ernährungskompetenzen spalten sich immer weiter auf, die Spezialisierung nimmt zu. 

Die Aufgaben der Lebensmittelproduzenten beschränken sich nicht nur auf die Sicherstellung der Produktion (Ernährungsziel) mit gesunden und sicheren Produkte, sondern umfasse auch die Entwicklung von neuen Produkten (novel foods), besonders solchen, die den neuen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen und Anforderungen entsprechen sollten; z.B. im Bereich der diätetischen Lebensmittel. Dazu bedarf es einer engen Forschungsverbindung zwischen Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften (www.mri.bund.de; Forschungskreis der Ernährungsindustrie; www.fei-bonn.de ), diese ist in Deutschland noch ausbaufähig. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen (RuD) der großen internationalen Lebensmittelproduzenten sind nicht in Deutschland (Menrad).  

Der Forschungsziele der Lebensmittelindustrie werden immer mehr vom Marketing bestimmt (Consumer Insight). Es ist das prinzipielle Dilemma, dass der Markt gesättigt ist, d.h. die Verbraucher sind satt. Wie werden sie dazu gebracht, mehr zu konsumieren.

  • Die Lebensmittel können noch weiter verarbeitet werden (noch bequemer werden; z.B. Getränkemischungen); es können weitere Dienstleistungen und Zusatznutzen (bis hin zu "gomics") zugefügt werden
  • kann den Nutzen, die Funktionen noch steigern (funktionelle Lebensmittel)
  • kann noch zielgruppen- und situationspezifischer die Lebensmittel "designen"
  • durch die Entwicklung im "Nutrigenomics"-Bereich können individualisierte (auf den Konsumenten zugeschnittene, personalized) Lebensmittel produziert werden (ProSumer-Systeme).

Die Artikelzahl im Lebensmittelsektor steigt: So gibt es gegenwärtig etwa 230.000 Artikel im Lebensmittelangebot, davon sind  über 90 % in einem wesentlichen Maße verarbeitet. Jährlich gibt es auf dem deutschen Markt mehr als 20.000 neue Artikel (Innovationen). Wenn danach gemessen wird, was nach kurzer Zeit (einem Jahr) nicht mehr in den Regalen steht, dann wäre die Flop-Rate über 50%. Doch ein Saison-Artikel kann sich "rechnen", muss also wirtschaftlich kein Flop sein.  Das Wirtschaftssystem erfordert solches betriebswirtschaftliches Handeln, das unter dem globalen, volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt nicht als optimale Ressourcen-Nutzung bezeichnet werden kann.

Mehr Werte verkaufen heißt aus der Sicht des Verbrauchers mehr zu bezahlen. Er muss Erwerbsarbeit dafür einsetzen, was er an selbstständiger Tätigkeit einspart. Der Umgang mit den Lebensmitteln verkürzt sich immer mehr, es wird schließlich nur noch die Kompetenz benötigt, die Verpackungsaufschriften zu  lesen und die Küchengeräte (z.B. Mikrowelle) zu bedienen. Die zunehmende Spezialisierung und Automatisierung im Ernährungsgewerbe führt auch in diesen Sektoren dazu, dass das komplette Fachwissen immer seltener wird. Es gibt immer mehr Ernährungs-"Handwerker", die nicht mehr wissen, was sie tun. Der Bäcker wird zum Bediener der Backautomaten. ("Handwerk ohne Hände"; auch Richard Sennett).

Weitere Informationen:

Ministerien: www.bmelv.bund.de        www.lebensministerium.at

CIAA / Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V.BLL www.bll.de

/ Bundesverband der Ernährungsindustrie - BVE  http://www.bve-online.de/

Österreich - www.dielebensmittel.at (nur intern nutzbar) http://portal.wko.at/wk/startseite_dst.wk?AngID=1&DstID=323

www.ages.at  --- Vortragscharts - Lebensmittel-Industrie in Österreich 2006

-(OLT Kap 4.2) ---
- Datei Ernährungshandwerk