Ernährungssoziologische Betrachtungen zu den Gruppen der Säuglinge und Kleinkinder

Der Mensch zählt zu der biologischen Kategorie der Nesthocker. Es ist ein soziales und ein Mängel-Wesen (Arnold Gehlen).  Die ernährungssoziologischen Bezüge bei Geburt und dem folgenden ersten Lebensjahr (Säugling) und den weiteren ersten Lebensjahren (Kleinkind) (Dimension Menschen im Ernährungssystem) lassen sich folgener Maßen beschreiben.

Die Struktur dieser Gruppe ergibt sich aus der Geburt, d.h. aus dem generativen Verhalten der Gesellschaft. Die Geburtenzahlen (in Deutschland und Österreich) sinken, die (subjektiv empfundene) Bedeutung der Kinder für den Erhalt der Gesellschaft verringert sich angesichts anderer "gehobenerer" Bedürfnisse der Erwachsenen.  Die Zeit der Schwangerschaft, die Geburt und die erste Lebenszeit ist psycho-sozial hoch bewertet. Es gibt einen ganzen "Satz" von informellen Regeln und gesetzlichen Verordnungen zu diesem "freudigen" Ereignis (Standesamt; Geburtsanzeigen, Mutterschutz usw) ("Gedanken-Netz - Mind-Map - um den Geburtstag - Settings)

Der neue Erdenbürger hat am Beginn nur eine recht passive Rolle. Er steht jedoch im Mittelpunkt der Familie und beansprucht ein ganzes Spektrum von Ressourcen der Eltern. Säuglinge äußern ihre Nachfrage nach Ernährung zuerst auf einer sehr biologischen Ebene. Der Saugreflex wird durch die Entscheidung der Mutter (im Gesamtverband des Haushalt, Familie; gesellschaftlichen Umfeld) befriedigt. Die Muttermilch ist das einzige für Menschen-natürlich geschaffene Lebensmittel. Stillen bietet zahlreiche Vorteile; alle erforderlichen Nährstoffe sind optimal vorhanden. Darüber hinaus hat Stillen positive emotionale und psychologische Wirkungen. So ist Stillen der optimale Start für den weiteren Lebenszyklus mit nachhaltigen positiven Wirkungen.  Bis zum Beginn der modernen Lebensmittelindustrie gab es nur unzureichenden Ersatz, wenn nicht gestillt werden konnte.  Bedingt durch die moderne industrielle Entwicklung ist das Stillen in Deutschland im Laufe des 20.Jahrhundert drastisch zurückgegangen; dafür hat sich ein Markt für Muttermilch-Ersatznahrung gebildet.

Die Gesellschaft hat besondere Strukturen, Regeln und Gesetze geschaffen, die zum Schutz der Kinder dienen. Aus der Sicht der Ernährung zählen die besondere Sicherheit der Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder, sowie die Förderung des Stillens, und das Zurückdrängen von übermäßigen Marketingaktivitäten (Kinderrechte).

Das historische Still-Tief (Geschichte der Säuglingsernährung) in Deutschland war in den 1970iger Jahren. Eine Studie zu dem Thema wird im Ernährunsbericht 2000 vorgestellt (Zusammenfassung 2001) (Chart).  Im KIGGS-Survey (2006) wurde eine andere Methode verwendet, wahrscheinlich hat Stillen weiter leicht zugenommen, jedoch ist es immer noch ungenügend. Die stillfördenden Maßnahmen könnten noch intensiviert werden. Das Gesetz über Werbung für Säuglingsanfangernährung (vom 10.10.1994) war eine wichtige Maßnahme.

Der Markt der Babynahrung wird von drei Herstellern dominiert: Hipp (37%), Nestlé – Alete (34%) und Milupa (19%) (Zahlen für das Jahr 2000). Die Kundenbindungsaktivitäten dieser Firmen sind vielseitig und aus den entsprechenden Homepages zu entnehmen. - www.alete.de  -  www.hipp.de  - http://www.milupa.de/

Säuglinge fragen dadurch nach Lebensmittel nach, in dem sie via ihrer Bezugsperson mit Akzeptanz- bzw. Abwehrreaktionen auf das Nahrungsangebot reagieren; zu solchen Reaktionen sind auch allergische Reaktionen und Neurodermitis zu zählen. Der tatsächliche Ernährungszustand der Säuglinge in Deutschland; z.B. gemessen durch den Wachstumsverlauf, ist nicht hinreichend bekannt. Datenmaterial ist prinzipiell vorhanden., z.B. durch die regelmässig durchgeführten Vorsorge-Untersuchungen im ersten Lebensjahr in (Kinder)Arzt-Praxen. Der europäische Vergleich des Wachstums von Säuglingen (Euro-Growth-Study) zeigt, dass gestillte Säuglinge eher langsamer Wachsen, als diejenigen die Flaschennahrung erhalten.

Die Kleinkinderzeit beginnt nach der Säuglingszeit (1.Lebensjahr) und endet mit der Einschulung (6.Lebensjahr). Sie kann nach vielen Kriterien weiter untergliedert werden, z.B. nach den Fähigkeiten der Kleinkinder (alleine gehen, sprechen, essen usw.) (Jean Piaget).  Bezüglich der Nachfrage nach Lebensmitteln ist das Abstillen (weaning) sehr wichtig, denn hier sollten Speisen gereicht werden, die der Phase des Übergangs vom Säugling zum Kleinkind gerecht werden. Diese Zusatznahrung kann bei entsprechender Kenntnis selbst zubereitet werden. Empfehlungen für die Kinderernährung entwickelt das Forschungsinstitut für Kinderernährung (in Dortmund) (FKE).

In dieser Phase werden der Geschmack und die Nahrungspräferenzen der Kinder nachhaltig geprägt. Der komplette Sinnesapparat steuert die Entscheidung, ob die angebotene Nahrung (z.B. ein Apfel) gegessen wird oder nicht.

Differenzierungen lassen sich durch verschiedene Speisen, die individuell zubereitet werden, leichter erreichen, als durch standardisierte Angebote (Harrus-Révidi 1996). Im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung lernen Kinder selbständig zu essen und  zu sprechen, und können am gemeinsamen Mahl der Eltern bzw. der Familie teilnehmen und ihre Ernährungsgewohnheiten profilieren. Ab dem dritten Lebensjahr kommen vor allem durch den Kindergarten die ersten außer Haus Erfahrungen hinzu, die  eine Erweitererung des  Lebensmittelspielraums (Exposure-Effekt) bewirken. In dieser Lebensphase der Sozialisation beginnen Kleinkinder, eigenständige Verbraucher (Kompetenz) zu werden, und die Einflüsse der Bezugsgruppen, Medien und des Marketings steigen (Diehl 2000b).

Die Differenzierung dieser Gruppe kann nicht nur altersmäßig vorgenommen werden, sondern auch in Bezug auf viele andere Merkmale, die Menschen allgemein betreffen, z.B. dem Haushaltstyp (Einzelkind, Geschwisterrangfolge), nach ökonomischen Kriterien und Lebenslagen und -konzepten der Eltern und selbstverständlich auch nach Lebensraum (Land- und Stadtkinder). Zudem gibt es Kleinkinder mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen und Stoffwechselstörungen.

Es gab lange Zeit keine repräsentative Erhebung zum Ernährungsverhalten von Kleinkindern, die vorhandenen Informationen (bis 2001) zu diesem Alterszeitraum entstammen einerseits einzelnen Studien, vor allem  die DONALD-Studie des FKE, und seit 2007 der ESKIMO-Studie.  Bereits in der Kleinkinderzeit zeigen sich die Ausbildung der heute noch traditionellen Rollen der Geschlechtet.  Kleinkinder sind für die Lebensmittelhersteller ein wichtiger Markt, einerseits weil sie schon ihre eigenen Konsumpräferenzen zeigen (Kersting). Es gibt entsprechend zielgruppen-spezifische Angebote. Andererseits wird das Markenbewußtsein damit gefördert und die Marke (Brand) brennt sich im Gedächtnis der Kinder ein. Aus den umfangreichen Informationen der kommerziellen Marktforschungsinstitute (z.B. Prekids-VA) zeigen sich erstaunlich umfangreiche Markenlogo-  und Icon-Kenntissse. Schon Kleinkinder haben einen Außer-Haus-Verzehr, entsprechende Marketing- und Kundenbindungsaktivitäten der Gastronomie sichtbar (z.B. durch den Marktführer McDonald´s und mit seiner Figur „Ronald“, die die Organisation von Kinderfesten anbietet).

Ein wichtiger Bereich sind die Einrichtungen zur Betreuung von Kleinkindern, die Kindertagesstätten und Kindergärten. Sie haben eine wichtige gesellschaftliche Funktion, nämlich als familienergänzende Betreuungs- und Bildungseinrichtung. Diese öffentliche Aufgabe, die auch dazu dient, soziale Problemlagen der Gesellschaft abzupuffern,  ist ein wichtiges "Setting" für Ernährungsbildung.  Informationen hierzu sind in der Studie „Ernährungssituation in Kindertagesstätten: die Kindertagesstätten-Ernährungs-Situations-Studie" (KESS), im  Ernährungsberichtes 2000 nachzulesen.

GRETA-Studie (= German Representative Study of Toddler Alimentation) Ernährung von Kleinkindern in Deutschland – Studie des Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE), Dortmund)
Hilbig A, Alexy U, Drossard C, Kersting M: „GRETA: Ernährung von Kleinkindern in Deutschland“.  Aktuel Ernährungsmed 36 (2011): 224-231
"Im Vergleich zu den Empfehlungen des Präventionskonzeptes der optimierten Mischkost wurden von den Kleinkindern im Mittel zu wenig getrunken und zu wenig pflanzliche Lebensmittel mit Ausnahme von Obst gegessen. Die Empfehlungen für den Verzehr tierischer Lebensmittel mit Ausnahme von Fisch und Süßigkeiten wurden dagegen erreicht bzw. überschritten. Kinder der oberen Schicht verzehrten tendenziell mehr pflanzliche Lebensmittel und weniger Fleisch / Wurstwaren als in der unteren Schicht."

Für den Ernährungs- und Gesundheitszustand der Kleinkinder gibt es noch weitere relevante Bereiche, die körperlichen Aktivitäten der Kinder (z.B. das aktive Spielen) und der Medienkonsum. Hier gibt es in bestimmten Gruppierungen negative Entwicklungen; bereits im Kleinkindalter gibt es zu viele Fälle von Übergewicht (Zusammenfassung 2001) (KIGGS). (Literatur -IOTF). Die Gesellschaft ist gefordert hier vorsorgend aktiv zu werden, und wichtige Ansätze sind auch vorhanden (z.B. dem  "Kinderleicht"-Projekt -.www.kinder-leicht.net/ )