Dimension Ort: zwischen Feld und Labor

(siehe OLT134 - Kap - 2.3.2.2. )

 

Der Begriff „Feld“ als Bezeichnung für den Lebensraum bzw. die natürliche Umgebung

(„Der Mensch in seiner gewohnten Umwelt“), die vom Forscher untersucht wird, stammt aus den

empirischen Sozialwissenschaften. Den Aufgaben und Definitionen der Ernährungsepidemiologie

entsprechend, ist diese auch Feldforschung, denn es bedeutet, der Forscher verlässt seinen Arbeitsplatz

- das Labor, den Schreibtisch - und begibt sich in die Gesellschaft hinein, um dort Informationen zu

gewinnen. In ihrer Ausgangsidee ist die Feldforschung breit angelegt; man will erfahren, welche Vorgänge natürlich ablaufen, was in der Bevölkerung geschieht, was und wie die Menschen essen, und in welcher

Weise sich dies auswirkt und vieles ähnliche mehr.

 

Feldforschung ist primär explorativ; sie ist eher Theorien erzeugend als Theorien prüfend. Es ist jedoch unmöglich, alle Variablenbereiche eines Feldes gleichmäßig gut zu erfassen. Bei qualitativer, „weicher“ Vorgehensweise - wie

z. B. bei anthropologisch-orientierten, teilnehmenden Beobachtungen - wird das subjektive Weltbild

des Forschers zu selektiven Wahrnehmungen führen. Bei Versuchen, das Feld strenger kontrolliert, d. h. quantitativer, objektiver zu erfassen, treten stärkere Einschränkungen in der Betrachtung auf

(z. B. wird schwer zu Quantifizierendes dann eher vernachlässigt), und die Methoden zeigen stärkere Einwirkungen auf die natürlichen Gegebenheiten, d. h. sie sind reaktiver.

 

Die Feldforschung wird auch bestimmt durch die geplanten Fragestellungen bzw. das entwickelte

Theoriemodell. Je strikter diese Modelle sind, desto mehr nähert sich die ursprüngliche Feldarbeit einem Experiment - einem gewollten Einwirken - bzw. der Laborarbeit. Der Untersucher holt sich seine Untersuchungsobjekte dabei in eine von ihm kontrollierte Umgebung.

 

Bei ernährungsepidemiologischen Studien bedeutet dies z. B., dass die Studienteilnehmer für

bestimmte klinische Untersuchungen - z. B. Blutlipidmessungen - gebeten werden, zu einer mobilen oder stationären Untersuchungsstelle zu kommen. In prospektiven Studien, die sich über einen langen Untersuchungszeitraum erstrecken, können auch permanente Untersuchungsräume eingerichtet werden; als Beispiel steht hier wieder die Framingham-Studie. Somit wird die Untersuchungsgruppe allmählich zu einem „epidemiologischen Labor“ (Kessler, Levine 1970).

 

In ernährungsepidemiologischen Interventionsstudien werden bestimmten, ausgewählten Personengruppen bestimmte Ernährungs- und/oder Lebensweisen vorgeschrieben, und es werden die Auswirkungen

überprüft. Einige Beispiele für entsprechende Fragestellungen sind: die Prüfung der Auswirkung von

Vitamin C-Zulagen auf die Grippehäufigkeit im Winter; die Wirkungen der ungesättigten Fettsäuren

- z. B. in Form von Fischöl - auf den Lipidstoffwechsel, das Herzinfarktsrisiko, rheumatische

Beschwerden usw. Dabei können z. B. bestimmte Mahlzeiten in Institutionen eingenommen werden,

doch erst wenn die Studienteilnehmer total kontrolliert werden (z. B. für den gesamten

Untersuchungszeitraum in Stoffwechsellabors, Kliniken, Anstalten usw. leben), dann ist

das andere Ende der Dimension Ort erreicht. Es sind dann nicht mehr ernährungsepidemiologische

Studien, sondern Labor-Ernährungsexperimente.

 

Feldforschung bedeutet auch mehr das Betrachten der Grundgesamtheit als solcher bzw. in Form einer repräsentativen Stichprobe; bei der Annäherung zum Labor hin werden die Studienteilnehmer immer mehr ausgewählt; sie werden zu speziellen Versuchspersonen.

- Schwingshackl, L. et al.: Evaluating agreement between bodies of evidence from randomised controlled trials and cohort studies in nutrition research: meta-epidemiological study. Brit Med J  374 doi.org/10.1136/bmj.n1864 (15.09.2021) ⇔ Ernährungsstudien sind besser als ihr Ruf.  idw-Pressemitteilung 15.09.2021 + link bei www.cochrane.de 15.09.2021