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03/24/15

Totalphänomen

Der französische Soziologe Marcel Mauss bezeichnete die Nahrung als totales gesellschaftliches Phänomen, da es bis zur Unkenntlichkeit mit der Gesellschaft verwoben sei. Die soziale Totalität spiegele sich in dem Lebensbereich der Ernährung. Das Ernährungshandeln hängt seiner Meinung nach mit allen anderen Lebensbereichen zusammen, die nicht isoliert werden dürfen, wenn das Totalphänomen Nahrung begriffen werden soll:

"In diesen (wie wir sie nennen möchten) "totalen" gesellschaftlichen Phänomenen kommen alle Arten von Institutionen gleichzeitig und mit einem Schlag zum Ausdruck: religiöse, rechtliche und moralische [...]; ökonomische [...]; ganz zu schweigen von den ästhetischen Phänomenen [...]" (Mauss 1968: 17-18). Mauss, Marcel (1968). Die Gabe: Form und Funktion des Austausches in archaischen Gesellschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S.17-18

Vielleicht hat der Lehrer von Maus Émile Durkheim bereits vom "Totalphänomen" gesprochen; und Roland Barthes (1982) führt dies fort.

"Was ist Nahrung? Nicht nur eine Reihe von Produkten, die statistischen und diätetischen Studien unterworfen sind. Sondern zugleich auch ein Kommunikationssystem, ein Vorrat an Bildern, ein Regelwerk des Gebrauchs, des Reagierens und sich Verhaltens. [...], daß jede Nahrung als Zeichen zwischen den Mitgliedern einer bestimmten Gruppe fungiert. [...] Sie ist von einem (übrigens völlig abstrakten) anthropologischen Standpunkt aus zweifellos das erste Bedürfnis; aber seitdem der Mensch sich nicht mehr von wilden Beeren ernährt, ist dieses Bedürfnis immer deutlich strukturiert worden: Substanzen, Techniken, Gebräuche bringen ihrerseits ein System bedeutungs-erzeugender Differenzen (différences significatives) hervor, und von diesem Augenblick an ist die alimentäre Kommunikation begründet" (Barthes 1982: 67).

Müller,J.: Essen hält Leib und Seele zusammen. Über das Essen als "soziales Totalphänomen".  Forum Nr.188, S.22-24 (Dez 1998) (Luxemburg-Zeitschrift)

Kommentar: Jeder Lebensbereiche ist mit Ernährung verbunden - jeder Mensch das ganze Leben und in jeder seiner Umwelten gibt es Verbindungen zum Essen; die Nähe zu dem Essen wird durch das Marketing gefördert. In der Überflussgesellschaft wird versucht "die Satten hungrig zu machen" (biologische Reize - wenn Nahrung sichtbar wird - exposure); und es gibt zumindest in den Cities, dort wo sich viele Menschen aufhalten, keine "essfreien Zonen" mehr.

Die Ernährung (Lebensmittel) wirkt auf jeden Menschen (Funktionen des Menschen) - richtige Ernährung ist notwendig das biologische Potential des Individuum auszuschöpfen. Menschen leben in Gemeinschaften (Ernährungssoziologie) - und so ist die richtige Ernährung auch für das Funktionieren der Gesellschaft notwendig.
Die Beziehung wird besonders bei Mangel/Fehlernährung deutlich
- individuell - ernährungsabhängige Erkrankungen (Zivilisationskrankheiten - Krebs, Herz-Kreislauf; Diabetes u.a.); Unterernährung, Überernährung (Adipositas); Mineralstoffmangel (z.B. Eisen/Anämie; Jodmangel) Vitaminmangel  (Vitamin A Mangel, Blindheit) usw.
- gesellschaftliche Folgen  -mangelnde Arbeitskraft - wirtschafltiche Folgen (Ernährungs-und Gesundheitsökonomie)  (Public Health Nutrition)

Beziehungen zwischen Ernährung (Lebensmittel - Werte) und
- Gesundheit - Wirtschaft (Preis/Einkommen) (Agribusiness) - Gesellschaft (Soziales) - KulturUmwelt (Boden; Wasser,Luft) - Zeit - Raum (Transport) (Nahrunsketten)

(Beziehungen - Modelle - siehe auch Ernährungssystem) (komplexe multivariate Beziehungen) 

(Charts: media 2523; 5999 (aus OLT094)

Hinweis auf Zitierung dieser Seiten ("Zitierschleife") - Heseker, H. et al.: Editorial: Ernährung – total und phänomenal. Ernährungs-Umschau Nr.1/2018

 
 

 

 

 

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