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Ernährungssoziologische Betrachtungen der Verbrauchentypen- und Lebenskonzept-Gruppen

Die Gesellschaft hat sich von festen sozio-ökonomischen Schichten (Klassen) und starren Regeln und Normen zu einer Vielzahl von neuen Lebenswelten hin entwickelt. Es wird von der Individualisierung der Gesellschaft gesprochen, d.h. nicht, dass keine Strukturen und Regeln mehr anzutreffen sind. Sie sind jetzt anders, es gibt „feine Unterschiede“ (Bourdieu).

Menschen leben auch als Individuum als Sozialwesen. Wer alleine lebt (Single), ist trotzdem von der Gesellschaft abhängig; er befriedigt seine Bedürfnisse auf dem Markt. Menschen orientieren ihre Entscheidungen nach ihnen vertrauten Strukturen und den ihnen eigenen Voreinstellungen (Bilder, Image, Wert, Präferenz, Erfahrung; Fähigkeit, usw.) (Einstellung-Tugend).  Alltagshandeln ist Routine; es läuft fast reflexartig und unbewusst ab, wenn man  Vertrautes  in vertrauten Settings tut. Zu solchen Alltagssituationen zählt das Essen (POEM) und die Ernährung (z.B. der Einkauf, POS). Diese Strukturen werden nicht bewusst wahrgenommen. Sie zu kennen ist für die, die das Verhalten von Menschen "an"leiten wollen (z.B. der "Markt" Leiter und der Public Health Nutritionist), sehr wichtig, denn dahinter verbergen sich die Determinanten (Bestimmungsgründe) für das (Ernährungs)Verhalten.

Seit den 1980ziger Jahren nimmt die Markt- und Verbrauchsforschung sich der Aufgabe an,  nach den "inneren" Strukturen im Konsumenten-Verhalten ("Consumer-Insight") zu suchen (s. Neuromarketing). Aus vielen Daten (wie z.B. Kunden-Bindunsgkarten; Kreditkarten; Scanner-Kassen und nun auch RFID-Funketiketten) können heute riesige Datenmengen untersucht werden (Data-Mining). Empirisches Datenmaterial wird explorativ mit multivariaten statistischen Datenverfahren analysiert. Es zeigen sich Bereich von Ähnlichem ("Cluster"); diese beschreiben Forscher und geben ihnen  (besonders im Marketingbereich) einen "merk-würdigen" Namen. 
Die ermittelten „Typen“ gelten im Prinzip nur für den jeweiligen Untersuchungsgegenstand. Die bekannten Verbrauchertypen sind noch sehr heterogen und die Abgrenzungen sind unscharf. Es ist praktisch nicht möglich, Verbrauchertypen einer Studie mit der einer anderen zu vergleichen.  Das hat viele Gründe, einmal in der Natur der Sache. Verbraucher haben in Bezug zu verschiedenen Gegenständen und Situationen andere „Hintergründe“, die zur Typologie führen. So kann ein Verbraucher je nach Lebensmittel und Verzehrssituation zu unterschiedlichen Typen angehören.  Diese Typologien gibt es für alle Altersegmente der Bevölkerung von den Kids bis hin zu den Senioren. Aus forschungs-historischer Sicht sind die SINUS-Mileus hervorzuheben, da sie den Beginn dieser Forschungsrichtung markieren und sie Milieus und sozio-ökonomische Strukturen kombinieren.

(siehe auch Dimension - Menschen - Typen )(OLT218 1448 / 338- stellt eine Zusammenfassung Typen-bezogener Ernährungstudien dar; Stand: 2001)

Theorie-geleitete soziologische Betrachtungen über die Strukturen in der modernen Gesellschaft führen ebenso zu Gruppen, z.B. in solche, die sich durch ihre Lebenskonzepte abgrenzen lassen. Die Konzepte können der Tradition ihrer Herkunft (Eltern, Heimat, usw.) entstammen, regional geprägt sein (z.B. „Sparsamkeit und Fleiss der Schwaben“) (s.VL 15) und  es das kann bewusst gewählt und gepflegt werden. Anhänger dieser Konzepte leben häufig in räumlicher Nähe. Das kann sich einerseits von selbst vollziehen  oder es wird (gemeinde)politisch angelegt  Bestimmte Stadtviertel sind entsprechend geprägt; es gibt z.B. in Deutschland Gemeinden in denen besonders viele „frühere" Religionsflüchtlinge (wie z.B. Hugenotten und Waldenser) leben. (Ordner - Dimension Mensch - Lebenskonzept)

Zu den wenigen ethnischen Minoritäten, die schon lange auf deutschem „Boden“ leben, zählen z.B. in Sorben im Land Brandenburg (Lausitz) (Sorben) und die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein. Die Sinti und Roma sind nur eine „kleine“ Minorität. Für Österreich sind es z.B. die Slowenen in Kärnten.
(Wikipedia - Sinti - Roma)

Religionszugehörigkeit begründet häufig Lebenskonzepte. Die dominierenden christlichen Religionsarten haben im Großen und Ganzen diesbezüglich nur noch einen geringen Einfluss. In unserer säkularen Welt gibt es noch Relikte davon, z.B. die kirchlichen Feiertags-Feste; das Fasten der Vor-Osterzeit; oder den Fisch am Freitag.  Andererseits gibt es Gruppen,  die christliche Regeln strikter einhalten (Pietisten, Orthodoxe), und zunehmend mehr Anhänger an anderen Religionen. Damit verbundene Ernährungsregeln überspannen ein weites Feld, und reichen bis zum Vegetarismus. Essen ist ein Zeichen von Zugehörigkeit zu speziellen Gruppen. (Religion-Statistik Österreich)  (www.statistik.at - Link - download/Religion)

Bei Trendvorhersagen war bis vor einiger Zeit häufig die Aussage zu hören, die traditionellen Formen und Normen lösen sich auf.  Das Verhalten von Menschen ordne sich nicht mehr allgemeinen Regeln unter,  sondern die Menschen suchen sich aus der Vielzahl (Multioptionalität) das passende heraus. "Zappen" oder "Surfen" sind dafür "Kenn"-Wörter. Ökonomisch-gesellschaftliche Zwänge (Mobilität und Flexibilisierung) üben zunehmend Druck in diese Richtung aus. Andererseits gibt es Hinweise für eine Abkehr vom Individualismus und der Beliebigkeit und die Hinwendung zu modern geformten traditonellen Werten, die auch Haushalt und Familie „fördern“. Modernes "Floaten" wird als negativer Stress empfunden. Retro-Stil und Slow statt "fast" fühlen sich für zunehmende Segmente in der Bevölkerung besser an.

Die Zuordnung zu den unterschiedlichen Lebenskonzepten ist teilweise recht schwierig, und auch wissenschafts-methodisch noch nicht gut untersucht. Ein für die Lebensmittelnachfrage wichtiger Teilaspekt ist die Übernahme von an Lebenskonzepten angelehnten  als alternativ bezeichneten (weil noch nicht der Mehrheit entsprechende)n Ernährungsformen, wie:
- Vegetarismus (verschiedene Formen: Lacto-Ovo; Veganer, Frugivoren, usw.)
- Frühe Reformbewegungs-Ernährungsformen: Anthroposophische Ernährungsformen, Waerland-Kost; Haysche Trennkost;
- Moderne Reformbewegungs-Ernährungsformen: Vollwert-Ernährung; Öko-und Bio-Ernährungsformen; Rohkost
- Asiatisch orientierte Ernährungsformen (Ayurveda, Makrobiotik, usw.)

(OLT218 - 1447 / 337  Zusammenfassung von Daten - Stand 2001; NVSII S.94 Ernährungsweisen).

Bisher gibt es nur unzureichende Studien hinsichtlich der Ernährung von zwei unterschiedlichen Personengruppierungen, den Homosexuellen, und den verschiedenen Formen der Berufsmobilität (z.B. living together-apart; Commuting) (Pendler); ebenso wie die von weiteren Berufsgruppen, wie Schichtarbeitern.

In jeder Gesellschaft gibt es "Fremde" (Fremd ist der Fremde nur in der Fremde; Karl  Valentin). Es sind einerseits die kurzzeitigen Besucher (die Touristen), die ebenso mit Essen versorgt werden müssen; wie die langfristiger in der Fremde lebend und arbeitenden, wie z.B. saisonale Erntehelfer oder Arbeiter bei internationalen (Leih)Firmen. Wieder andere haben langfristigeren Aufenthalt bis hin zur Notwendigkeit permanent in einem fremden Gastland Leben zu wollen oder gar müssen (Migranten).

Die Lebenslage der Fremden hat Rückwirkungen auf die Ernährung in einigen Richtungen.  Das Lebensmittelangebot auf dem einheimischen Markt wird durch exotisches erweitert.  Die Ernährungssituation der Migranten unterscheidet sich. Die Zahl der Ausländer ist in Deutschland relativ hoch, es sind 7,3 Millionen von 82 Millionen Einwohner. Die grösste Gruppe davon sind Türken mit knapp zwei Millionen (Tab),(Ausländer in Österreich). Es gibt sehr verschiedene „Ausländer“, viele sind uns nicht fremder, als mancher Einheimische, der in einer anderen Lebenswelt lebt.

(OLT 218-1446336 - Zusammenfassung von Daten zu  Ernährungssituation von Migranten in Deutschland)

Expertin: Prof. Dr.Gertrud Winkler, Fachhochschule Albstadt-Sigmaringen, Sigmaringen;  Überblicksartikel in der Ernährungs-Umschau Heft 3, S. 170f, Heft 4 (2003)  -- http://www.ernaehrungs-umschau.de/service/leute/?page=5&id=2318