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Soziale Organisation der Ernährungsversorgung – Ernährungspolitik – heute – international und national

Die Sicherstellung der Nahrungsversorgung (Nahrungssicherheit) war schon immer eine zentrale Aufgabe der Menschen. Sie kann nicht alleine bewältigt werden, sondern hierzu sind gesellschaftliche Strukturen und Funktionen notwendig, die sich historisch entwickelt haben.

Nahrungssicherheit ist zwar Voraussetzung für Ernährungssicherheit, aber dazu bedarf es mehr, denn die vollständige Ernährungskette (bzw. der Ernährungskreislauf) endet nicht bei der Erzeugung der Nahrung, sondern  beim einzelnen Menschen in einem privaten Haushalt. Die End- und Abfallprodukte des Haushaltes werden schließlich in einen weiteren Kreislauf (Abfallwirtschaft) gebracht. Die Bedarfs- und Bedürfnis-gerechte Verteilung der Nahrung, und damit Ernährungssicherheit, ist noch nicht gegeben. Die Folgen, die ernährungsabhängigen Erkrankungen,  sind bekannt. Die Zukunftsaufgabe bleibt: Geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Ernährungs- und Gesundheitszustand für alle Bevölkerungsgruppen (Health for All“) in zufriedenstellender Weise zu sichern (siehe auch Public Health Nutrition) (VL 27)

Ernährung, als Total-Phänomen, erfordert eine sektoren- und „Ebenen“-übergreifende Politik, d.h. alle Ressorts bzw. Ministerien sind an der Ausgestaltung einer modernen Ernährungspolitik ebenso zu beteiligen, wie die national-staatlichen, Länder- und Gemeinde-Ebenen. Die Ziele und Aufgaben  sind in der Gesellschaft zu verankern. Die Ernährungs)Wissenschaft, und hier besonders der Bereich Public Health Nutrition, liefert Handlungsmodelle und  Entscheidungshilfen (Daten für Taten“)

Eine moderne zukunftsweisende Ernährungspolitik ist in Deutschland noch nicht realisiert.  Bestimmend im Bereich Ernährung ist immer noch die absatzorientierte Agrarpolitik. Einige andere Länder (WHO 2003), wie in Skandinavien Finnland und Norwegen, sind weiter. Die Entwicklung in Finnland zeigt, dass es möglich ist erfolgreich Zivilisationskrankheiten zu „bekämpfen“, in dem man sie erfolgreich vermeidet (Puska – Nord-Karelien; Kjaernes; Prättälä)

In Deutschland ist für Ernährungspolitik maßgeblich das frühere Landwirtschatsministerium zuständig, das jetzt Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz heisst (www.bmelv.de). Ein früheres politische Ziel (vor 2000) lautete "„Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit qualitativ hochwertigen Produkten der Agrar- und Ernährungswirtschaft zu angemessenen Preisen; Verbraucherschutz im Ernährungsbereich."

Heute wird das Prinzip des vorsorgenden Verbraucherschutzes mehr betont, und es sollte Vorrang vor wirtschaftlichem Interesse haben und zugleich (bei voller Qualitätssicherung) auf eine umwelt- und naturverträgliche Produktionsweise hinwirken. Hier gibt es eine Reihe von Zielkonflikten (zwischen Anbietern und Verbrauchern; zwischen Ökonomie und Ökologie; usw.). Aus diesen Gründen ist das Zusammenwirken von sechs Akteuren eine wichtige Voraussetzung:Verbraucherinnen und Verbraucher, Landwirte, Futtermittelindustrie, Lebensmittelindustrie, Einzelhandel und Politik. (BMVEL) (Österreich) . Der "Aktionsplan Ernährung" , der 2008 in Deutschland verabschiedet wurde, ist ein weiterer (jedoch kleiner) Schritt zur Realisiierung; analog sind die Aktivitäten in Österreich zu bewerten, die im Rahmen des Enährungsberichtes 2008 diskutiert und beschlossen werden.

Die Akteure (stakeholder) des Ernährungssystems haben sich organisiert, und deren Vertreter definieren unter staatlicher Führung die Ziele, Aufgaben und die Kontrollen. Neben der Eigenkontrolle in jedem Bereich ist eine staatliche gesellschaftliche Kontrolle (der Einhaltung der „Spielregeln“) notwendig. Das Grundbedürfnis Ernährungssicherheit kann nicht „privatisiert“ werden. Das Menschenrecht (Human Right) auf Nahrung. (§ 25 der Universal Declaration of Human Rights - http://www.un.org/Overview/rights.html) muss durch den Staat gewährleistet werden.

Ernährung und Essen ist immer etwas sehr Persönliches und Individuelles. Jeder darf nach seiner „Ess-Fasson“ seelig werden. Doch bereits in den grundlegenden sozialen Regeln von Gruppen wird bemerkt, dass abweichende Essgewohnheiten sozialen Sanktionen unterliegen ("Das tut man nicht“; Tabus). Seinem Wesen nach ist der Agrar- und Lebensmittelmarkt, da er auf „Naturproduktion" basiert unsicher (Hungerkatastrophen früher; FAO-Early Warning-System) (GIEWS), deshalb ist er hoch geregelt und entspricht in keiner Weise einer „freien Marktwirtschaft“.

Die gegenwärtige Ernährungspolitik steht sowohl international (Welternährungsproblematik) als auch national in der Zerreißprobe von fundamentalen Interessensgegensätzen. Im „freien“ Markt können Anbieter erfolgreich versuchen „die satten Verbraucher hungrig zu machen“ (Willett, Cartoon). Die Folgen sind bekannt, die Probleme des Überkonsums, wirken abträglich auf (individuelle) Gesundheit und gemeinschaftliche (Umwelt) Kosten. 

Der andere Pol liegt im Bereich von ordnungspoltisch-orientierten Vorstellungen, die die „Freiheiten“ des (Ernährungs)Verbrauchs gemäß politisch-gesellschaftlich ausgehandelter Ziele („Dietary Goals“) einschränken (Bonus-Malus; Verbote). Mit Ernährungsregeln ist jede Gesellschaft  vertraut („dass ist man nicht“; Tischsitten; Anstands- und Umgangsformen; Hygieneregeln), diese sind in der Gesellschaft gewachsen und verwurzelt. Die Hintergründe sind nicht neutral und Interessen-frei, sondern an gesellschaftlichen Prozesse gebunden (siehe Geschichte der Ernährungspolitik; Hobhouse - Buch s.u.).  Neues bedarf gesellschaftlichen Akzeptanzprozessen, hier kann und muss die Politik steuern (analoge Prozesse in der Mobilität; Verkehrsregeln).

Die gegenwärtigen ernährungspoltischen Aufgaben in Deutschland sind die folgenden (Verbraucherpolitischer Bericht - BMELV 2008; Forschungsplan BMELV 2008; Regierungserklärung zur Verbraucherpolitik - Seehofer 2007; Badenweiler Erklärung 2007):

In einer nun auch wirtschaftlich global vernetzten Erd-Gemeinschaft werden internationale (Ernährungs)Regeln wichtiger. Im UN-System (www.unsystem.org) gibt es eine Vielzahl, die auch mit Ernährung befassgt sind (Chart), deshalb gibt es sogar "Acting Coordinating Committees " (ACC/SCN www.unscn.org )
In der traditionelle Sichtweise ist für Ernährung die Food and Agricultural Organization of the United Nation System (FAO - www.fao.org) zuständig.   Aus Fehlernährung resultieren gesundheitliche Probleme, deshalb ist auch die Weltgesundheitsorganisation – World Health Organization (www.who.org) mit Ernährung befasst. FAO und WHO publizieren gemeinsam die internationalen Ernährungsempfehlungen. Die Aspekte des Welthandels, des Einkommens und der Wirtschaft werden durch die Weltbank vertreten (http://www.worldbank.org/), dabei spielen die Gesichtspunkte von Hunger und Armut wichtige Rollen (http://www.worldbank.org/poverty/wdrpoverty/). In den Weltentwicklungsberichten ist häufig die Welternährungssituation beschrieben. Die Weltbank hat wichtige Dokumente zu dieser Thematik verfasst, die Faktor Ernährung auch in Bezug als (Wirtschafts)Entwicklungsfaktor darstellen (Population, Health and Nutrition Department of the World Bank; Alan Berg: The Nutrition Factor, Brookings Institute, 1973).

Von der Ernährungsproblematik besonders betroffen sind die Schwachen der Gesellschaft (Vulnerablen), das sind Frauen und Kinder; und auch hier gibt es entsprechende internationale Organisationen. So die UNICEF für Kinder (www.unicef.org/; www.unicef.de/, www.unicef.at) und United Nations Development Fund for Women und International Research and Training Institute for the Advancement of Women  (www.un-instraw.org). Zur Ernährungssicherung gehören auch die Arbeitsbedingungen, das sind Gesichtspunkte die das International Labour Organization - http://www.ilo.org/) und die Bildung und Kultur einer Gesellschaft – UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization - http://www.unesco.org/);und schliesslich kümmert sich auch das Entwicklungsprogramm UNDP United Nations Development Programme - http://www.undp.org/ ) und das Umweltprogramm UNEP (United Nations Environment Program - (http://www.unep.org/ ) um Belange der Ernährung. 

Die Zustandsbeschreibungen, Schlussfolgerungen und Aktionsprogramme werden durch die grossen Weltkonferenzen hervorgehoben, wie z.B. 1996 – World Food Summit. Für den europäischen Bereich hat die WHO bereits 1999 den "First Food and Nutrition Action Plan" verabschiedet (WHO 2004).

Die Europäische Gemeinschaft hat die enstprechenden internationalen Bestrebungen aufgegriffen; dabei wird berücksichtigt, dass eine Ernährungspolitik im breiteren Rahmen als Teil einer übergeordneten Gesundheitspolitik eines Landes gesehen werden muss. Ernährungspolitik dient der Förderung gesunder Essgewohnheiten. Es gibt von verschiedenen Generaldirektionen der EG ernährungspolitische Formulierungen und Zielsetzungen.
Besonders: DG SANCO (Health and Consumer Protection) (website)  - dort Public Health - Neue Seite. (White Paper - Strategy for Europe on Nutrition, Overweight and Obesity related health issues - download) --   (Weissbuch 2007).
Beispiele für die Bemühungen um die Ausgestaltung einer gemeinschaftlichen europäischen Ernährungspolitik sind die Erklärungen bei Konferenzen und Tagungen, wie in Instanbul (2006) und Badenweiler (2007)

Ernährungspolitik ist immer eine Querschnittsaufgabe bzw. eine Ministerien (Fachgruppen, Abteilungen, Disziplinen, usw.)- übergreifende Aufgabe - die beteiligten "Gebiete" (analog wie auf der globalen Ebene)
- Landwirtschaft   (Agrarpolitik)
- Ernährung
- Gesundheit
- Verbraucher   (Verbraucherpolitik)
- Finanzen, Handel, Wirtschaft
- Arbeit und Soziales
- Kinder, Frauen; Senioren (Innenpolitik)
- Bildung, Kultur
- Wissenschaft und Forschung
- Entwicklung; Außenpolitik
- Umwelt und Nachhaltigkeit

und dazu ist es nötig ein "Koordinierungs-Organ" einzurichten (<national>, lokal; Nutrtion Committee; s.auch - www.unscn.org)
(für jedes Land - Makroebene; aber auch auf Mesoebenen - Gemeinden - solche Strukturen - zu ermitteln und zu entwickeln)

Weitere Hinweise

USA-Portal -  http://www.nutrition.gov/

Ernährungspolitik in Deutschland  - Aktionsplan Ernährung

Ernährungspoltik in Österreich

Hobhouse, Henry: Fünf Planzen verändern die Welt. Klett-Cotta, 1985 (Chinarrinde, Zuckerrohr, Tee, Baumwolle, Kartoffel) (wikipedia)

(Hinweise - Vorlesung PHN_CN - Food and Nutrition Policy)