TYPO3 Musterprojekt - Thursday, 28. March 2024
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(Zum Verständnis ist es ratsam - mit dem Text in Datei- deskriptive Methoden zu Beginnen) (dort vollständiges Kapitel)

Gemäß von Theoriemodelle, d. h. der Auswahl bestimmter Variablenbereiche unter Berücksichtigung der Abfolge der Wirkungsbeziehungen, werden Theorie-prüfende Feldstudien entworfen und durchgeführt. Sie sind häufig retrospektiv angelegt, um alternative Theoriemodelle kurzfristig vergleichen zu können. Erst auf der letzten Stufe der Forschungsstrategie gilt es, das Modell auf seine Richtigkeit zu prüfen, dabei greift der Forscher experimentell in das Feld ein, er interveniert. Wenn das Modell stimmt, müssen bestimmte Ursachen (z. B. ein spezifischer Nährstoffmangel) einen vorhersagbaren Grad an Wirkung zeigen. Dieser Weg der Forschung kann auch als der Weg von den „weichen“ zu den „harten“ Untersuchungsformen beschrieben werden. Theorien entstehen, werden eingeengt (falsifiziert) und die „Wahrheit“ wird bestätigt (verifiziert).

In der analytischen Phase der Ernährungsepidemiologie werden Hypothesen bzw. Modelle(Hypothesengefüge) als Grundlage und Ausgangspunkt benutzt. Die ausgewählten interessantenund relevanten Variablen werden in einen ganz bestimmten Zusammenhang gestellt, dessen Prinzipin Abb. 30 verdeutlicht wird. Angenommene Ursachen-Wirkungs-Beziehungen müssen in einezeitliche Abfolge gesetzt werden. Die erklärende Ursache (unabhängige Variable) steht vor derzu erklärenden Wirkung (abhängige Variable). Die für ernährungsepidemiologische Studienzugrundeliegenden Ursachen-Wirkungsmodelle setzen sich aus den Variablen zusammen, die in den geplanten Untersuchungen berücksichtigt werden, d. h. die gemessen bzw. erfasst werden sollen.
Es ist jedoch bekannt, dass es außerhalb des Modells noch weitere - störende, aus der Sicht des Modells - exogene Variablen gibt, die in diese Beziehungen eingreifen. Bei den intervenierenden Variablengibt es prinzipiell zwei Arten. Einmal sind es solche, die während der Studie kontrolliert werdenkönnen (z. B. durch Messung und spätere Berücksichtigung bei der statistischen Auswertung und/oderdurch bestimmte kontrollierte Stichprobenauswahl, wie „matched pairs“ [Gleichheit der Gruppen, alle „Störvariablen“ sind durch entsprechende Auswahl bei der Bildung von Fall- und Kontrollgruppengleichförmig vertreten]). Der andere Fall von Störvariablen betrifft jene, die nicht kontrolliert werdenkönnen, da sie z. B. nicht bekannt bzw. nicht erfassbar sind oder da sie nicht genug beachtet bzw.unterschätzt und vergessen wurden. Diese können nur bei der Stichprobenauswahl, die nach demZufallsprinzip arbeitet, vermieden bzw. gleich verteilt („randomisiert“) werden. Trotz allerÜberlegungen stellen die vernachlässigten, „intervenierenden Faktoren“ die eigentlichen Gründe dafürdar, warum manche Ergebnisse später so unerklärlich erscheinen und als unerwartete bzw. überraschende Nebenwirkungen eingestuft werden.

Bei einmaliger Betrachtung der Studienmodelle - z. B. in retrospektiven Studien - könnten dieZusammenhänge nur statisch überprüft werden. Es werden z. B. Korrelationen abgeleitet. Diebiologisch so wichtige zeitliche Komponente bleibt undeutlich, trotzdem stellten bisher die retrospektiven analytischen Studien den Hauptteil der Ernährungsepidemiologie dar. Dies entspricht dem Stand dieser Forschungsrichtung. Durch diese schnelleren, einfacheren und kostengünstigeren Studien-Designskönnen die ersten Modelle in verschiedenen Variationen wiederholt überprüft werden, wobei unterschiedliche Bedingungen, Personengruppen, Länder usw. - also verschiedene exogene Variablenkonstellationen - berücksichtigt werden. So wird die Stärke und die Konstanz der Beziehungenzwischen Variablen ermittelt. Man erfährt, ob gleiche Ursache(n) unter gleichartigen Bedingungen immerwieder gleiche Wirkungen zeigen bzw. welche anderen Bedingungen diese Beziehung(en) in welcher Weise verändern. So können Modellvarianten miteinander verglichen und die Modelltheorie verbessert werden.

Die analytische Ernährungsepidemiologie hat aber immer Grenzen, die es anzuerkennen gilt. Jeder Versuch, genauer und intensiver zu messen, stellt einen intensiveren Eingriff in das natürliche Geschehen darund führt zu Reaktionen und damit „schiefen“ Ergebnissen. Eine stark kontrollierte Auswahl der Studienteilnehmer („overmachting“) ist von der Gefahr von starken Selektionseffekten begleitet. Dieeinmalige Betrachtung hat aber den bereits genannten prinzipiellen, nicht abzuwendenden Nachteil,dass sie nur unbewegliche Bilder der Situation erzeugen kann. Korrelationen sagen nichts über diezeitlichen Beziehungen der Variablen untereinander aus, und es wird damit nicht nachgewiesen, obdiese direkt oder indirekt miteinander verknüpft sind. Die ermittelten Beziehungen müssen im Licht des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes interpretiert werden.

So wird jeder, der eine Korrelation zwischen der Abnahme der Zahl der Störche (oder auchZunahme der Zahl der Fernsehapparate) und Absinken der Geburtenrate - wie sie in Industrieländern zu beobachten ist - als Kausalbeziehung betrachtet, belächelt werden. Hier sind es gemeinsameintervenierende Variablen, die eine statistische Beziehung herstellen.
Bei weniger offensichtlichen Tatbeständen ist die Gefahr größer, dass die festgestellten Beziehungenzu direkt bewertet werden. Die Beziehungen, die zwischen Vitamin A- und Vitamin C-Aufnahmenund der Krebshäufigkeit gefunden wurden (Schottenfield, Fraumeni 1982; von Eys 1985), bedeuten nicht notwendigerweise, dass direkte Beziehungen zwischen dem Stoffwechsel dieser Vitamine und dem von Krebszellen bestehen muss. Es gibt viele mögliche Mechanismen, wie z. B. Schutz vor der Entstehungvon krebserzeugenden Verbindungen und Beziehungen zu den allgemeinen Abwehrmechanismen desKörpers. Es kann spekuliert werden, dass Nahrungsmittel, die reich an Vitaminen A bzw. C sind, gleichzeitig andere Schutzstoffe enthalten könnten, oder sie andererseits wenig an krebsauslösenden Stoffen enthalten. Ein weiteres, aktuelles Beispiel: In großen epidemiologischen Studien, wie z. B. der Framingham-Studie, zeigten sich Beziehungen in der Art, dass Menschen mit mäßigem Alkoholgenuss das geringste Risiko hinsichtlich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigten (Castelli 1979, Kannel 1984). Eine Möglichkeit, diese Beziehung weiter zu erforschen, ist, dass in alkoholischen Getränken wie Bier und Wein nach Schutzstoffen gesucht wird. Es dürfte nicht unrealistisch sein anzunehmen, dass entsprechende Industrieverbände solchen Forschungszielen wohlwollend gegenüberstehen. Es istjedoch auch möglich, sich andere Erklärungsmodelle vorzustellen, bei denen mäßiger Alkoholkonsum als Indikator dafür steht, dass diese Menschen das Leben und seine Anforderungen gut bewältigen können. Keinen Alkohol zu konsumieren kann bedeuten, dass der Organismus damit biologisch nicht umgehen kann; die betreffenden Personen vertragen keinen Alkohol bzw. dürfen aus Krankheitsgründen keinen zu sich nehmen; es kann auch bedeuten, dass Menschen mit der potentiellen Gefahr nicht umgehen können und wollen; sie haben Angst vor Alkohol. Ängstliche Menschen tragen ein erhöhtes Krankheitsrisiko, Angst gehört zu den Dys-Stress-Faktoren.
Solche komplexen Erklärungsmodelle mit Wirkungsketten und -verknüpfungen lassen sich nur mitprospektiven Untersuchungsformen überprüfen; wie bereits betont, ist dieses aufwendig und teuer.Hierbei wird häufig auch die letzte Stufe der ernährungsepidemiologischen Forschungsstrategie erreicht - das Experiment bzw. die Intervention. Nur in dieser klassischen Untersuchungsform derNaturwissenschaft können sich Kausalbeziehungen nachweisen lassen.

Die Intervention unter Feldbedingungen besteht darin, dass unabhängige Variablen verändert werden- z. B. durch Nährstoff- und Nahrungszulagen; durch Ernährungs- und Gesundheitsberatung usw. – und deren Auswirkungen auf abhängige Variablen erfasst werden, - z. B. Ernährungs- und Gesundheitszustand, Leistungsfähigkeit, Krankheitshäufigkeit usw. Dabei wird die zeitliche Abfolge - entsprechend den Modellen - und die Beziehungsstärke (Dosis-Wirkungs-Funktionen) ermittelt.
Der Idealfall für das Erreichen des Forschungs- bzw. Erkenntniszieles besteht darin, dass die Theorie - also das Modell - und die empirisch erfassbare Realität - also die Erhebungsdaten - übereinstimmen. In solchen Fällen kann die Wirkung einer Maßnahme vorhergesagt werden (Prädikation); davon ist die Ernährungsepidemiologie noch weit entfernt. Es gilt hierbei zu überdenken, ob dies ein wünschbares Ziel darstellt. Totales Erkennen des menschlichen (Ernährungs-)Handelns und seiner Auswirkungen würde auch die Möglichkeit der totalen Steuerung und Lenkung des(Ernährungs-)Verhaltens eröffnen. Solchen Kontrollüberlegungen stehen die Ideale von derFreiheit des Menschen und der Hochachtung seiner Individualität gegenüber.

 

(Darstellung - Vergleich Altersgruppen - Veränderung mit Studiendauer - bei den verschiedenen Studien Designs; CHART)

("Ur-Fassung" - OLT134M) (S.97 - Kap. 2.3.2.1.)