TYPO3 Musterprojekt - Friday, 19. April 2024
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Die prospektiven Methoden zur Erfassung des Ernährungsverhaltens sind:
- Buchhaltungs - und Inventarmethoden (z.B. Household Budget Survey; Einkommens- und Verbrauchserhebungen)
- Ernährungsprotokolle
- (präzise)Wiegemethoden
- Beobachtungsmethoden
          - Beobachtung durch Menschen
           - Beobachtung durch Technik

Die den Befragungsmethoden innewohnende prinzipielle Schwäche - die unpräzise Erinnerungsfähigkeit von Menschen - wird durch Protokoll-Methoden umgangen. Dafür müssen andere Nachteile in Kauf genommen werden: Der Aufwand für Teilnehmer und Untersucher wird erhöht. Die Methode beeinflusst die normalen Ernährungshandlungs-Abläufe; die Menschen fühlen sich beobachtet und reagieren. Die Protokollmethoden sind stark reaktive Methoden (Hawthorne-Effekt), so dienen Ernährungsprotokolle in der Ernährungstherapie dem Bewusstmachen des eigenen Ernährungsverhaltens, damit an entsprechenden Punkte eine Behandlung ansetzen kann.

Die Protokoll-Methode kann bei verschiedenen Erhebungseinheiten durchgeführt werden, beginnend beim Individuum über Klein- und Familien-Haushalte bis hin zu Großhaushalten. Der Untersucher muss entscheiden, wie lange der Nahrungsverzehr protokolliert werden soll. Hier gibt es keine Rückerinnerungsgrenze, jedoch eine Belastungsgrenze für die Teilnehmer und Kosten-Nutzen-Überlegungen. Der Aufwand soll im vernünftigen Verhältnis zur gewonnenen Information über die Ernährung stehen. Die Variationsbreite im üblichen Nahrungsverzehr und die gewünschte Erfassungsgenauigkeit bestimmen in selber Weise wie bei den Befragungs-Methoden, die Zahl der zu erfassenden Tage. (Chart - USA; Lit. USA / England) Es sind meist mehr Tage, als die Teilnehmer gewillt sind freiwillig zu protokollieren, denn diese Aufgabe bedeutet Störungen im normalen Alltagsablauf und wird mit der Zeit recht lästig.

Es muss weiterhin entschieden werden mit welcher Intensität die Ernährung erfasst werden soll. Im Marktforschungsbereich, aber auch in der Ernährungsverhaltensforschung kann es genügen, wenn die Ernährung nur qualitativ - ohne jede Mengenangabe, aber mit spezifischen Angaben zum Lebensmittel und zum Zeitpunkt des Verzehrs bzw. zur Verzehrssituation - protokolliert wird. Der quantitative Aspekt der Nahrungsaufnahmen kann auch bei Protokoll-Methoden durch haushaltsübliche Maßeinheiten erfasst werden. Die Intensität kann durch das genaue Wiegen einzelner bin hin zu allen Schritten der Nahrungskette - vom Einkauf, über Zubereitung bis hin zum Verzehr bzw. den Essens-Resten - gesteigert werden.

Am aufwendigsten ist die parallele chemische Analyse einer entsprechend gesammelten Ess-Portion. Diese umfassende Erhebung hat einen passenden Namen, nämlich "total diet study"; sie ist die Methode der Wahl, wenn es z. B. gilt die Aufnahme von Fremdstoffen (s.S.223) durch die Ernährung festzustellen.

Die Protokoll-Methoden - und hier insbesondere die Wiegemethoden - haben den scheinbaren Vorteil, exakt die Nahrungsaufnahme zu erfassen. Allerdings ist es fraglich, ob damit die üblichen Verzehrsgewohnheiten erfasst werden, denn sie sind stark reaktive Methoden (s. o.). Aus diesem Grund gibt es eine Reihe von Überlegungen, wie der laufende Nahrungsverzehr unbeeinflusst erfasst werden könnte. Die Suche nach non-reaktiven Methoden ist nur begrenzt erfolgreich, weil den heimlichen Beobachtungen juristische und ethische Grenzen gegenüberstehen. Der andere Weg ist anthropologisch zu arbeiten und der ist sehr aufwendig. Menschen können relativ leicht in bestimmten Situation heimlich beobachtet werden, z. B. beim Einkaufen im Supermarkt oder beim Essen in einem Restaurant bzw. einer Kantine. Der Untersucher kann direkt beobachten, es können jedoch auch Film- bzw. Video-Aufzeichnungen gemacht werden.
Die anthropologischen Methoden zum Ernährungsverhalten beruhen darauf, dass sich der Untersucher das Vertrauen der Gruppe erwirbt, die er erkunden will. Er versucht durch lange Kontakte bis hin zum wirklichen Mitleben, als dazu gehörig angesehen zu werden. Dies ist sehr aufwendig und kann sehr lange dauern; wird dies Ziel erreicht, dann können sehr tiefgehende Kenntnisse gewonnen werden. Das gilt besonders für sensible Bereiche - wie z. B. dem Alkohol- und Drogen-Konsum; als "V-Mann" bzw. "Insider" erfährt man das wahre Geschehen. Kinder stellen eine Gruppe dar, dessen Vertrauen besonders leicht zu erwerben ist. So können entsprechende "Kinder-Betreuer" z. B. das Naschverhalten untersuchen. Trotzdem bleibt der Aufwand sehr groß; ein Untersucher kann für lange Zeit immer nur eine Gruppe bzw. eine Person im Auge haben (Wilson 1974).

Zu den neuesten Entwicklungen von non-reaktiven Erhebungstechniken können die modernen Datenverarbeitungstechniken herangezogen werden. Die Informationen über den Lebensmittel-Einkauf werden zunehmend durch die "Scanning"-Kassen zugänglicher; die Strichcode-Markierung im EAN-System (Europäische Artikel Nummerierung) zusammen mit den vermehrt bargeldlosen Zahlungsweisen - z. B. durch Kredit-Karten - helfen die Informationen zu erfassen, wer was wo einkauft. Hier sind jedoch Grenzen bezüglich des persönlichen Datenschutzes zu beachten.

Die Informationen, die bei allen Methoden der Erfassung der Ernährung des Menschen (Abb. 44) gewonnen werden, müssen ausgewertet werden. Die dabei üblichen Vorgehensweisen und die bekannten Probleme werden in einem späteren Kapitel (s. Kap. 5.2.) beschrieben. Wichtige zusammenfassende Darstellungen über Ernährungserhebungsmethoden stellen folgende Publikationen dar: Cameron, van Staveren 1988; Pekkarinen 1970; Pelto et al. 1989; Sichert et al. 1984.

Die Informationen über die Nahrungsaufnahme des Menschen müssen logischerweise mit Informationen über ihren Nahrungsbedarf ergänzt werden. Der Nahrungsbedarf lässt sich aus soziodemographischen Angaben - wie Alter, Geschlecht und Beruf - ableiten, dazu müssen noch anthropometrische Messungen - Gewicht, Körpermasse usw. - herangezogen werden. Aus solchen Angaben kann vor allem der Ruheumsatz berechnet werden, genauere Angaben dazu und vor allem zum Arbeitsumsatz ergeben sich aus den Methoden, die die körperliche Aktivität erfassen. Sie werden im folgenden Kapitel beschrieben.