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Der andere große Bereich der Fehlernährungs-Formen auf der Erde, die Überernährung und die damit in Zusammenhang stehenden Zivilisationskrankheiten, kann auch durch biochemische Indikatoren charakterisiert werden.

Der wichtigste Faktor ist das Übergewicht bzw. die "Fettsucht"; sie kann am besten anthropometrisch festgestellt werden. Mit dem Übergewicht stehen weitere Risikofaktoren bzw. Erkrankungen im Zusammenhang. Da die ernährungsabhängigen Erkrankungen zu den häufigsten in den Industrieländergesellschaften zählen, ist die allgemeine klinisch-chemische Diagnostik auch auf diese Erkrankungen ausgerichtet (Connolly et al. 1982; Faulkner, King 1970; Free, Free 1975; Kruse-Jarres 1979, Richterich 1968).

Ein wichtiger Untersuchungs-Bereich betrifft die Fette. Die Zusammensetzung der zugeführten Nahrungsfette kann durch ent-prechende Analysen aus dem Unterhautfettgewebe abgeschätzt werden. Der Nahrungsenergie-Vorrat in Form der Fettablagerungen zeigt sich durch anthropometrische Messungen; damit einher gehen auch die sogenannten Blutfette, das sind Cholesterin, deren Lipoprotein-Fraktionen und Triglyceride. Die Werte werden durch viele Ernährungsfaktoren beeinflusst, die eingehende Bewertung solcher Daten ist Aufgabe von entsprechenden Fettstoffwechsel-Spezialisten. (Abb. )  (Umdruck) (Kasper)

Die Zuckerkrankheit - der Diabetes mellitus - ist eine komplexe Stoffwechselstörung, die verschiedene Hintergründe hat. Im Prinzip wird dabei der erhöhte Blutglukosegehalt als Indikator herangezogen, das entspricht einer verminderten Glukose-Toleranz; wobei die Diagnostik durch Bestimmung der Hormone, die den Blutzuckergehalt im Blut regulieren (z. B. Insulin und Proinsulin), verfeinert. Auch hier ist eine dynamischere Betrachtung (Blutzuckerkurve, glykämischer Index nach entsprechenden [Glukose]-Belastungen) von Vorteil. Für einfache Filteruntersuchungen können auch die Blutzuckergehalte im Harn (Glukosurie) herangezogen werden. Zur Bestimmung der Glukose in Blut und Harn gibt es eine Vielzahl von Methoden, darunter auch recht einfache - wie z. B. Teststreifen - deren Ablesung durch einfachen Farbvergleich - aber auch mit Reflektanz-Messgeräten erfolgen kann. Diese können bei Feldstudien eingesetzt werden. Die längerfristige Einhaltung von Blutzucker-Werte ist bei einer Diabetes-Therapie sehr wichtig. Der Glukosegehalt im Blut wirkt sich auf Abkömmlinge des Hämoglobins aus; es entstehen glycolisierte Hämoglobine (HbA1). Daraus ergibt sich die Möglichkeit den Blutglukosegehalt eines längeren Zeitraumes abzuschätzen.
(Matthan, N.R. et al: Estimating the reliability of glycemic index values and potential sources of methodological and biological variability. Am J Clin Nutr, 2016 DOI: 10.3945/ajcn.116.137208 ⇔  Science Daily 07.09.2016 -

Weitere Kohlenhydrat-Stoffwechsel-Aspekte haben für die meisten ernährungsepidemiologischen Studien keine besondere Bedeutung, am ehesten ist die Laktose-Intoleranz zu beachten. Die Vielzahl von weiterer, meist genetisch bedingten Störungen des Kohlenhydrat-Stoffwechsels treten nur selten auf; sie haben wohl eine klinische Bedeutung, können aber bei den meisten ernährungsepidemiologischen Feldstudien vernachlässigt werden.

Eine weitere wichtige Zivilisationskrankheit, die mit Überernährung und hier insbesondere mit einem zuviel an Fleisch und Innereien zusammenhängt, ist die Gicht, die sich durch einen zu hohen Wert an Harnsäure im Blut (Hyperurikämie) bzw. auch im Harn anzeigt. Auch dieser Indikator wird nicht allein durch die Zufuhr von Purinen mit der Nahrung beeinflusst, sondern auch andere Ernährungseinflüsse sind bekannt.

Die Funktionen der Organe des Menschen sind auch vom Ernährungszustand abhängig bzw. sie beeinflussen den Ernährungszustand. Die Funktionsfähigkeit der Niere beeinflusst unmittelbar den Stoffwechsel der Nährstoffe (Ausscheidungsteil der Stickstoff-, Vitamin-, Mineralstoff-Bilanz usw.); wie eben auch umgekehrt die Nährstoffzufuhr, die Niere "beschäftigt". Dabei sind vor allem ein Zuviel an Kochsalz, an stickstoffhaltigen Nährstoffen (Eiweiß, Purine) und an Calcium bzw. Oxalat zu nennen. Die Nierenfunktion kann mit einer Reihe von klinisch-chemichen Methoden untersucht werden. Die Störungen der Nierenfunktion zeigen sich prinzipiell z. B. dadurch an, wenn die Zusammensetzung von der des Normal-Harns abweicht; denn die Regulation der Nierenausscheidung ist gut kontrolliert. Weitere Einzelheiten können der entsprechenden Fachliteratur entnommen werden (z. B. Kluthe, Quirin 1986; Kopple 1984).

Ein sehr wichtiges Organ für den Stoffwechsel allgemein und auch der Nährstoffe ist die Leber. Ihre Funktionen werden durch Fehlernährung beeinflusst. Zum Bereich der Zivilisationskrankheiten zählen auch die Einflüsse des erhöhten Alkoholkonsums, seine Folgen sind weitreichend.

Neben psycho-somatischen Störungsfeldern; Funktionseinschränkungen des Nervensystems, erhöhte Unfallgefahren mit entsprechenden Verletzungen hat Alkohol einen wichtigen Einfluss auf die Verdauungsorgane und hier steht die Leber im Vordergrund. Das Kontinuum der Veränderungen beginnt bei leichten Funktionsstörungen (die sich durch klinisch-chemische Indikatoren messen lassen), und reicht über Leber-Verfettung bis zu ihrer Zerstörung (Leber-Zirrhose). Für die klinisch-chemische Überprüfung der Leber-Funktionen stehen viele Methoden zur Verfügung; deren Bewertung wiederum ein großes Spezialwissen voraussetzt. Leichte Störungen zeigen sich durch veränderte Leber-Zellmembran-Stabilitäten an, dies führt zur Erhöhung der Aktivitäten einiger Enzyme des Eiweißstoffwechsels im Blut, das sind: Alaninaminotransferase, Aspartataminotransferase, und vor allem y-Glutamyltransferase; und für fortgeschrittene Leberschädigungen auch Glutamatdehydrogenase. Werden bei diesen Enzymen erhöhte Aktivitäten gefunden, dann kann dies am erhöhten Alkoholkonsum liegen - und/oder an anderen Faktoren. Weitere Messgrößen für den Alkohol-Konsum sind die Messung der Alkoholgehalte im Blut und auch in der Atemluft. Solche Messgrößen können in ernährungsepidemiologischen Studien durchaus nützlich sein.

Ein weiterer häufiger Risikofaktor für die Gesundheit der Menschen ist die Hypertonie. Sie wird zwar in erster Linie mit einem hohen Kochsalz-Konsum in Verbindung gebracht, doch spielen viele weitere Faktoren von Seiten der Ernährung, sowie anderer Lebensbereiche (wie z. B. körperliche Aktivität und psychosozialer Stress) eine Rolle. Eine wichtige Querverbindung besteht auch zu der Funktion der Niere. Viele ernährungsepidemiologische Studien zeigen die multifaktoriellen Ursachen des hohen Blutdruckes. Die Beziehungen zwischen hohem Blutdruck und den Ernährungsfaktoren, wie vor allem dem Kochsalz, stellen auch ein gutes Beispiel dafür dar, dass ernährungsepidemiologische Beziehungen mehr gruppenspezifisch ("NaCl-sensitive Typen") als generell allgemeingültig betrachtet gesehen werden müssen (s. S. 184).

Die Messung des Blutdrucks ist eine alte medizinische Messmethode und sie erscheint auf den ersten Blick recht einfach; doch ist es notwendig die Untersuchungssituation gut zu standardisieren; dies betrifft sowohl die Messgeräte einschl. der Manschette, als auch die Untersucher und Studienteilnehmer. Es zeigen sich bedeutende Unterschiede zwischen Einmal-Messungen und kontinuierlichen Blutdruck-Aufzeichnungen; auch der Ort der Messung und die Erfahrung des Untersuchers haben einen großen Einfluss. Wichtige Aufgaben bei der Standardisierung leistet auch in diesem Fall die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Der Hochdruck-Risikofaktor zu hoher Kochsalzkonsum wird durch Messung der Natriumchlorid-Ausscheidung beurteilt, da sie die vielfältigen Zufuhr-Wege des NaCl quasi zusammenfassen. Zur Ermittlung dieses biochemischen Indikators dienen die Ermittlung der NaCl-Mengen in (24 Stunden-)Sammel-Harnproben.

Ein Ernährungsfaktor der als Risikofaktor gilt ist der Mangel an Ballaststoffen; dieser ist durch entsprechende Analyse der Ernährungserhebungen zu ermitteln. Biochemische Indikatoren spielen hier keine Rolle, es sei denn man bewertet biochemische Messungen, die für andere Gesichtspunkte angelegt sind, auch in diesem Sinne; wie z. B. geringerer glykämischer Index (verbesserte Glukose-Toleranz). Eine Wirkung der Ballaststoffe ist eine Beschleunigung der Darmpassagezeit, sie kann mit Farbstoffen und anderen der Ernährung zugesetzten Substanzen, die nicht resorbierbar und leicht in den Stuhl-Ausscheidungen ermittelt werden können (z. B. Blaubeeren, Johannisbrotkerne, Chromdioxid, Plastikpellets usw.) abgeschätzt werden.

Ein nächster Risikofaktor-Bereich für Zivilisationskrankheiten stellt die hohe Aufnahme von Genussmitteln dar. Dabei sind nicht Gewürze gemeint, die meist physiologisch günstige Auswirkungen habe. Sie sind höchstens dadurch negativ, dass sie zum Überkonsum anreizen. Das betrifft vor allem Alkohol, der schon genannt wurde, und Rauchen. In ernährungsepidemiologischen Studien können die Rauchgewohnheiten erfragt werden. Im Zigaretten-Rauch sind einige spezifische Substanzen, die von Rauchern (auch von Passiv-Rauchern) aufgenommen werden. Das sind Substanzen wie Nikotin bzw. eine verwandte Verbindung davon - das Cotinin, und auch Thiocyanat (SCN-). Sie stellen biochemische Indikatoren (in Blut und Speichel) für das Rauchen bzw. die Rauchbelastung dar. Es ist auch ein Weg, die Befragungen zu kontrollieren (z. B. Hill et al. 1983).

Analog lassen sich alle anderen Drogen, die der Mensch zu sich nimmt ermitteln. Das können Rauschgifte sein, aber auch Arzneimittel und Kontaminanten der Lebensmittel (natürlicher Art, wie Mykotoxine oder künstliche Umwelt-Kontaminanten). Die schnellen Fortschritte auf dem Gebiet dieser Analytik spiegeln sich wieder in Meldungen über Umweltskandale und Dopingfällen im Sport. Im konkreten Fall kann auf ein umfangreiches Analysen-Repertoire aus den Bereichen der Lebensmittel-Chemie, der Arbeitsmedizin, der Umweltforschung, der Phamakologie, und der Sportmedizin zurückgegriffen werden.

Die Vielzahl der Nicht-Nährstoffe, die auf den verschiedensten Wegen in unserer Körper gelangen können, kann in mannigfaltiger Weisen die Ausnutzung der Nahrung stören bzw. den Ernährungsbedarf beeinflussen. Hier wird auch eine wichtige Überlappung der Ernährungsepidemiologie zu anderen epidemiologischen Studien deutlich; der Wirkung der Chemikalien auf die Gesundheit des Menschen. So ist es wichtig die (Neben-)Wirkungen von Arzneimitteln (Pharmakoepidemiologie) zu erfassen; genau wie die (Gesundheits-)Risiken der Umweltchemikalien (Ökotoxikologie). Einige Stoffe, die im Zusammenhang immer wieder diskutiert werden, sollen dies bewusst machen. In "total diet studies" (s. S. 171) kann die Zufuhr von Schwermetallen (Blei, Cadmium, Quecksilber), von Nitrat/Nitrit/Nitrosaminen; von chlorierten Kohlenwasserstoffen, Mykotoxinen (wie z. B. Aflatoxine) u.v.a.m. ermittelt werden. Durch entsprechende Analyse in Biopsie-Material, wie in Blut, Harn, Haar, aber auch Muttermilch (wie z. B. Pestizidgehalt) und Unterhautfettgewebe sind auch entsprechende biochemische Indikatoren verfügbar.

Ein nächster Bereich der Zivilisations-Krankheits-Risiken stellt die körperliche Inaktivität dar. Die Aktivitätsmessungen wurden schon abgehandelt (s. Kap. 3.2.).

Die Zivilisationskrankheit Krebs hat auch deutliche Beziehungen zur Ernährung. Es gibt eine Vielzahl von epidemiologischen Studien; der Anteil von Ernährungsfaktoren an der Verursachung aller Krebsraten wird auf ca. 25-40% geschätzt. Die Krankheit als solche verändert den Ernährungszustand, das kann durch solche biochemischen Indikatoren ermittelt werden, die hier besprochen werden. Es gibt Erfahrungen mit Diäten zur Prävention sowie Versuche den Verlauf der Krankheit durch entsprechende Diätformen zu steuern; eine Ernährungstherapie für den Krebs gibt es allerdings nicht. Für ernährungsepidemiologische Studien können jedoch die Versuche biochemische Indikatoren zur Früherkennung von Krebs ("biochemical markers") zu entwickeln, interessant sein. Dabei wird im Prinzip nach bestimmten Stoffen (z. B. Enzymen), die für Krebs-Zellen spezifisch sind (z. B. Schulte 1987) gesucht.

Die skizzierten Risikofaktoren müssen auch im Zusammenhang gesehen werden. Entsprechende multifaktorielle Modelle zu den einzelnen Risikofaktoren bzw. Zivilisationskrankheiten müssen ernährungsepidemiologischen Studien zugrundegelegt werden. Es gibt auch Versuche, die einzelnen Bereiche zu kombinieren und Risiko-Indices zu bilden. Dabei können auch psycho-soziale Bereiche eingeschlossen werden, deren Erhebungs-Methoden erst später behandelt werden (s. Kap. 3.3.).

Der Vollständigkeit halber werden noch weitere Zivilisations-Krankheiten aufgeführt. Die Karies wird durch entsprechende klinische Diagnose ermittelt; die in ihrer Beziehung stehenden Nährstoffe wie Fluor und Calcium sind durch biochemische Indikatoren zu ermitteln. Das Gleiche trifft für Anämien und für den durch Jodmangel bedingten Kropf zu.

 (Text aus OLT134 - Kap 3.5.)

Cirulli, E.T. et al. Profound Perturbation of the Metabolome in Obesity is Associated with Health Risk.  Cell Metabolism doi.org/10.1016/j.cmet.2018.09.022 (11.10.2018) ⇔ link + link bei www.eurekalert.org 11.10.2018

Azab, S.M. et al.: Serum non-esterified fatty acids have utility as dietary biomarkers of fat intake from fish, fish oil and dairy in women. J Lipid Res doi: 10.1194/jlr.D120000630 (31.03.2020) ⇔"Test erkennt über die Nahrung aufgenommene Fettsäuren." link bei www.heilpraxisnet.de 18.05.2020