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Lehn, Erwin (ld, p, vb, comp), * 8.6.1919 Grünstadt.

(Info-Sammlung 18_08_08)

 

(Text aus Kunzler - JazzLexikon)

Aus der wirtschaftlichen Not der Big Bands der Nachkriegszeit machte Erwin Lehn eine Tugend. Obwohl sich sein Orchester in fester Bindung an den Stuttgarter Südfunk auftragsgemäß Gebrauchsmusiken verschiedenster Art widmete, fand es stets Möglichkeiten, »von kommerziellen Zwängen befreiten, avancierten Jazz« (»Jazz Podium«) zu produzieren. Arrangements (u.a. von Werner Baumgart, Ernst Simon, Mladen Gutesha) realisierte der Leader in Präzisionsarbeit und mit Gespür für stilistische Charakteristik. Lehn erklärte zur Frage des »eigenen Sound«: »Ich habe mich da absichtlich nicht festgelegt, denn die Musik meiner Band soll in hohem Maße von der Ideengebung der Arrangeure abhängig sein.« Der Publizist Joachim-Ernst Berendt schrieb: »Der Power Edelhagens stellte Erwin Lehn Gelöstheit – Relaxation – gegenüber.« Lehn selbst meinte dazu: »Wenn man es schablonisieren will, dann trat bei Edelhagen ein gewisses Faible für Stan Kenton zutage, bei mir ging es mehr in Richtung Woody Herman, Count Basie.« Von der Präsentation eigener Solisten, u.a. des High Note-Trompeters Horst Fischer, der Saxophonisten Werner Baumgart, Bernd Rabe und Gerald Weinkopf, des Pianisten Horst Jankowski in den fünfziger und sechziger Jahren verlegte sich Lehn nach personellen Veränderungen immer mehr auf die Aufführung zeitgenössischer Kompositionen, etwa 1980 bei den Wochen der leichten Musik auf Werke von Wolfgang Dauner, Alexander von Schlippenbach, Manfred Schoof und des Avantgarde- Komponisten Werner Heider. Zu den Solisten, deren Namen eng mit dieser im Stil amerikanischsten und beständigsten deutschen Big Band verbunden sind, zählten Conny Jackel, Joki Freund, Charly Antolini, Klaus Weiss, Alice Babs, Rolf Ericson, Ack van Rooyen, Bobby Burgess, Joe Gallardo, Karl Farrent, Jürgen Seefelder, Jörg Reiter und Johannes Faber. Gastsolisten waren u.a. Jimmy Giuffre, Miles Davis, Slide Hampton, Don Ellis, Maynard Ferguson, Peanuts Hucko, Buddy DeFranco, Mel Lewis, Frank Rosolino, Bob Brookmeyer, Chet Baker, Stan Getz, Tony Scott, Attila Zoller und Chick Corea.

Erwin Lehn hatte vom fünften Lebensjahr an Geigen- und Klavierunterricht und lernte mit elf Klarinette. Er studierte an der Musikschule in Peine, begann als Pianist im Ensemble seines Vaters und spielte auch Saxophon. Lehn ging 1945 als Pianist und Arrangeur zum Berliner Rundfunktanzorchester. Mit dieser Formation machte er 1946 die ersten Plattenaufnahmen; 1947 folgten Quartett-Einspielungen unter eigenem Namen. 1948 übernahm er mit Horst Kudritzky das Radio-Berlin-Tanzorchester und brachte für Imperial Einspielungen heraus, denen bis Ende 1950 Alben auf verschiedenen Labels folgten. 1951 gründete Lehn, der inzwischen das Vibraphon zu seinem Hauptinstrument gemacht hatte, das Südfunk- Tanzorchester in Stuttgart. 1955 startete er mit Dieter Zimmerle und Wolfram Röhrig die Konzertreihe »Treffpunkt Jazz mit Erwin Lehn« und spielte zum ersten Mal auf dem Deutschen Jazzfestival in Frankfurt, wo er bis Mitte der sechziger Jahre häufiger mit seiner Band auftrat. Neben der Arbeit für den Sender widmete man sich weiterhin stilistisch vielseitigen Jazz-Konzerten mit zahlreichen Gastsolisten. Erwin Lehn ist zudem seit 1979 Lehrbeauftragter für Big Band, seit 1985 ordentlicher Professor an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart, an der er von 1977 bis 1997 ein Nachwuchsorchester geleitet hat. Es erarbeitete eine viel beachtete Einspielungsserie, absolvierte internationale Tourneen und brachte eine Reihe namhafter Musiker hervor. Zur Besetzung der professionellen Band am Sender gehörten 1980 u.a. die Trompeter Johannes Faber und Markus Stockhausen, die Posaunisten Joe Gallardo und Bertil Strandberg sowie die Saxophonisten Bernd Rabe, Joki Freund und Werner Baumgart. Jüngeren Datums sind die LPs »Color In Jazz« (1973) und »Jazz Made In Germany« (1978). Das Album »Die großen Tanzorchester – Erwin Lehn/Kurt Henkels« enthält Aufnahmen aus den Jahren 1949 bis 1953, »25 Jahre Lehn Orchester« wird ohne Aufnahmedatum angeboten, die Doppel-CD »40 Jahre Jazz« erschien 1992, » Bill Holman Conducts The SDR Big Band« präsentiert die jüngsten Aufnahmen. Die Band, ein eigenständiges Unternehmen mit einem gewissen Auftragsvolumen des Süddeutschen Rundfunks, litt in den achtziger Jahren unter ständigen Etat-Kürzungen des Senders, behielt aber durch den Einsatz des Leaders und seiner Musiker gleichwohl ihr hohes Niveau bei. 1991 gab Erwin Lehn die Führung an Karl Farrent und Rudi Reindl ab. 2001 erhielt der schon 1983 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Bandleader für sein Lebenswerk die German Jazz Trophy.

[Lehn, Erwin. DB Sonderband: Jazz-Lexikon, S. 3185

(vgl. JL Bd. 1, S. 743 ff.)]

 

J.Wölfer: Jazz in Deutschland. Das Lexikon, Hannibal, 2008 S. 208