Soziokulturelle Variablen des Ernährungsverhaltens

Unter Soziokultur versteht man die Summe aus allen kulturellen, sozialen und politischen Interessen und Bedürfnissen einer Gesellschaft beziehungsweise einer gesellschaftlichen Gruppe.  Die Wortverbindung soziokulturell bezeichnet den engen Zusammenhang zwischen sozialen und kulturellen Aspekten gesellschaftlicher Gruppen und ihren Wertesystemen. 
Soziokultur ist auch ein Fachbegriff der Kulturpolitik (wikipedia). Er bezeichnet hier eine direkte Hinwendung von Akteuren und Kultureinrichtungen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und zum Alltag.  In der Schweiz hat sich für Professionelle in solchen Einrichtungen der ursprünglich französische Begriff Soziokulturelle Animation eingebürgert.

Tier "fressen" instinkt-geleitet (Abb. Odum); Menschen modifizieren die Nahrungsquellen; sammeln Erfahrungen, geben diese auf nächste Generationen weiter (Nutritional Wisdom (OLT137) Ergebnis - Bildung einer Agrar- und Ernährungskultur.

Aufgrund seiner Physiologie kann der Mensch praktisch alle Pflanzen und Tiere als Nahrungsresource nutzen (Allesfresser); so sind Menschen sehr Anpassungsfähigkeit (von rein tierischer Nahrung - Eskimo - bis hin zu reinen Vegetariern - Bergvölker in Neuguinea) (Esskultur/Landesküchen)

Die Auswahl der Nahrung durch Menschen (Ernährungsverhalten) führte traditionell  zu  balanzierter Ernährung (nutritional wisdom; verschiedene Kombinationen von Getreiden+Hülsenfrüchte; Versuche mit Kleinindern von Clara Marie Davis (1938) (wikipedia) (link), u.v.a.
Im Verlaufe der historischen Entwicklung der Menschen (Evolution) wurde Pflanzen und Tiere ausgewählt, durch Sammeln und Jagen, und durch "Kultivierung" (Ackerbau und Vierzucht) (neolitische Revolution). So entwickelte sich die Ernährungskultur der Menschen. Dies führte zu angepassten Lebensformen  in sozialen Gruppen, die soziale Regeln (Codes) haben,  mit individuellen (psychologischen) Variationen.

Sozio-kulturelle Konstrukte des Ernährungsverhaltens:
- die Art der produzierten Lebensmittel (Agrartechnik; Lebensmittelverarbeitungstechnik, Vorratshaltung) Kochtechnik, Haushaltsgeräte; Herd; Energieverfügbarkeit; Geschirr - (Kulinaristik, Gastronomie)
- Handel und Transport
- Körperbild - Image des Dicken (unterschiedliche Kulturen, Geschichten)
- Verbote; Tabus - ganz allgemein; nur für bestimmte Gruppen; zeitweise Beschränkungen; Meidungen, Abneigungen (nutritional xenophobia)
- spezielle Ernährungsformen für bestimmte Gruppen (Schwangere, Stillende); Berufsgruppen
- Einteilung der Lebensmittel in Klassen wie "hot" / "cold" -- ying/yang (Dichotomie)
- magisch religiöse Bewertung der Lebensmittel/Speisen - Rituale; Opfergaben;  "Götterspeisen" (Religion)
- soziale Lebensmittelkategorien - bezogen auf "Stand" (soziale Rolle); Alter, Geschlecht; Familien-Ordnungen (Mann/Frau - Kinder; Verteilung der Speisen - "Ordnungen") 
Biermann, G., Rau, H.: The meaning of meat: (Un)sustainable eating practices at home and out of home.  Appetite 153: doi.org/10.1016/j.appet.2020.104730 (01.10.2020) "Eating practices at home and out of home differ in their environmental impact."  (ref. "Wer Gäste einlädt, serviert noch immer lieber Fleisch als rein vegetarische Gerichte." Südd Ztg 02.09.2020)
- Bezüge zur Sexualität - Frau als ernährende Mutter und Frau als "Frau" - Heirat - Bezug zu verschiedenen (Gruppen/Clan) Ernährungskulturen
- Lebensmittel und Ökonomie - Gaben (gifts) - ökonomischer Wettbewerb (Potlach) - Geschenk+Gegengeschenk / Wert(schätzung) der versch. Lebensmittel; Nahrungsmittel für soziale Gruppen/Klassen- Lebensmittelgaben - für die Armen; Geschenke zu Lebensereignissen (Feste) - Geburt, Hochzeit usw  (kulturelle Bewertung)
- Preis/Einkommensbeziehungen (ökonometrische Beziehungen - Gleichungen - Nahrunsverzehr)

Anforderungen an Ernährungserhebungen (Methoden) nicht Durchschnittsverbraucher sondern sozio-kulturelle Einheiten betrachten (Stichprobe); soziale Organisationsformen; Einkommenssituationen; Werte/Images
- Veränderungen beachten (Wandel) - stabiles "core diet" vs "peripheral foods" (Mahlzeiten)
- gewollte Veränderungen (Ernährungsziele) - Beratung (Ritchie - 1967 - educational school) - und Nahrunsgmittel"gaben" - Innovationen - promotional school ; Anreicherungen; usw.

Informationsquellen
- Ernährungssoziologie 
A Bodenstedt: Ernährung und Tradition: sozio-kulturelle Einflüsse auf das Ernährungsverhalten. Ernährungs-Umschau 25: 103-109 (1978) (DGE-Tagungsvortrag) (Scan im Archiv)
- Kultursoziologie
Brombach,C.: Soziale Dimensionen des Ernährungsverhaltens. Ernährungs-Umschau Nr.6, S.318-324 (2011)

- (Ernährungs)Anthropologie
Igor de Garine; The socio-cultural aspects of nutrition. Ecology of Food and Nutrition 1(2) 143-163 (1972) • DOI:10.1080/03670244.1972.9990282 (Scan im Archiv)
Man's nutritional behavior should be studied not only from the physiological and psychological standpoint but also from the socio-cultural point of view. Man is a social being, his deeply rooted food habits have developed within a culture and they vary widely from one society to another. The socio-cultural factors bearing on food and nutrition range from material technologies to implicit ideologies and symbols, and are interrelated in an original pattern. Techniques such as food production, processing and cooking, and conflicting scales of values should all be taken into account. Although general correlations may seem obvious between food, nutrition and various cultural factors as they appear in our society, we are far from having determined the rules to which food behavior conforms. Although the western industrialized civilization tends to spread throughout the world, we should be careful to analyse painstakingly the socio‐cultmal aspects of each concrete case, and avoid hasty generalizations if we are to make any progress in fundamental research and develop efficient programs aiming at nutritional well-being.

Kulturwissenschaften

- Ernährungskulturwissenschaftn -

 Kochkunst

Wertz, A.E., Wynn, K.: Can I eat that too? 18-month-olds generalize social information about edibility to similar looking plants. Appetite 138: 127-135 doi.org/10.1016/j.appet.2019.02.013 (01.07.2019)   (ref. Kindesentwicklung: Zwischen Grünzeug und Giftzeug. Spektrum der Wissenschaft 23.04.2019)

Horine, EF: Food and Nutrition in Urbanization - an unmet Challenge. S: Pacific Bulletin (1967, 3rd quarter; p. 28 - PAG -Protein-Adivisory Group 

Jeliffee, DB. Parallel  food classifications in developing and industrialized countries. Amer.J.clin.Nutrl. 20: 279- (1967) - http://www.ajcn.org/content/20/3/279.full.pdf +html

 Ritchie, J. A. S. learning better nutrition: a second study of approaches and techniques. FAO Nutr. Stud. No. 20. 1967.

Vartanian, L.R. et al.:  Modeling of food intake: a meta-analytic review. Social Influence, 2015; 10 (3): 119 DOI: 10.1080/15534510.2015.1008037 - ScienceDaily 11.05.2015

Israel, R.C., Tighe, J.P.: Nutrition Education - The State of the Art - Review + Literature. Nutrition Education Series. Vol.7,  UNESCO, 1984 (download)

S.96 - Schmeckt doch, oder? (Kristina Vaillant)  Essen liefert nicht nur Energie.Über die sozialen Dimensionen des Geschmacks (link) - Was die Lebensmittelindustrie anrichtet. Edition Le Monde diplomatique, 2019

Die Sozialpsychologie ist ein Teilgebiet der Psychologie und Soziologie, das die Auswirkungen der tatsächlichen oder vorgestellten Gegenwart anderer Menschen auf das Erleben und Verhalten des Individuums erforscht (Gordon Allport 1968):   
- Menschen konstruieren ihre eigene Realität.
- Das gesamte Erleben und Verhalten wird von sozialen Beziehungen beeinflusst.
(wikipedia) (Kategorien)

Warum gehorchen Menschen, warum foltern und quälen sie auf Befehl? Der amerikanische Psychologe Milgram hat in Experimenten mit Menschen nachgewiesen, daß zwei Drittel autoritätshörig sind. (Spiegel Nr.26 -1974) (wikipedia)

Lally P, Bartle N, Wardle J.: Social norms and diet in adolescents. Appetite. 2011 Dec;57(3):623-7. doi: 10.1016/j.appet.2011.07.015. Epub 2011 Aug 5. -

Essen als Bekenntnis. Ausstellung (03.04.2022 – 19.06.2022) link bei www.museumbrotundkunst.de Ulm. (ref. Vom Abendmahl zur Smoothie-Bowl – Museumsdirektorin Isabel Greschat über Essen als Bekenntnis. SWR2 14.04.2022) 

"Das will ich auch!": Nahrungsmittelwahl hat auch soziale Aspekte (aid aktuell, Nr.50, 10.12.2014) (link nicht mehr aktuell) "Generell orientieren sich Menschen an dem Verhalten ihrer Mitmenschen und den "Normen" der sozialen Gruppe, zu der sie sich zugehörig fühlen. Das gilt offenbar auch für das Essverhalten. Wenn andere bei den Kalorien nicht sparen, greift man oft auch selbst leichter zu Fastfood und energiereichen Snacks. Eine ausgewogene Ernährungsweise mit viel Obst und Gemüse kann dagegen auch Mitmenschen zu einer gesunden Kost motivieren. Die Information, dass "andere Studenten" große Portionen essen, führte bei den Versuchspersonen zu einem moderat erhöhten Verzehr. Wer von einem im Allgemeinen geringen Konsum erfuhr, hielt sich auch selbst zurück.Sogar wenn wir alleine und unbeobachtet essen, ist das Ernährungsverhalten durch soziale Aspekte geprägt, so die Untersuchung. Denn häufig übernimmt man auf unbewusster Ebene Einstellungen und Essgewohnheiten. Oeygard. Lisbet: Studying food tastes among young adults using Bourdieu´s theory. J Consumer Studies & Home Economcis 24(3) 160-169 (2000) (im Archiv)

soziale Klassen - ökonomisch, und kulturelles Kapital (Bildung)  - "bessere" Klasse - "besserer, feiner Geschmack

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